Pleasure 120

Wenn man die Schweiz beschreiben wollte, mit nur einem Wort, möglichst wertneutral und doch treffend, so fällt meine Wahl auf „speziell“. Mit der Sonderbarkeit, die dem Wörtchen „speziell“ innewohnt, lässt sich all das betiteln, was die Schweiz in ihrer Vielfalt und Eigenheit ausmacht.

Das kleine, eigenbrötlerische Land mitten in Europa, mit seiner zerfurchten Topographie zwischen Tälern, Gipfeln und Seen und der dadurch geprägten Klein- und Vielteiligkeit in allen denkbaren kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Bereichen, hat schon immer eine außergewöhnliche Faszination auf mich ausgeübt. Als bayrisch geprägter „Gummihals“ (wie die Schweizer die Deutschen gerne nennen, und das nicht immer besonders freundlich meinen) bin ich aber vorbelastet: In meinem Reisepass ist Zürich als Geburtsstadt vermerkt. Konkrete Erinnerungen an die ersten Jahre sind zwar keine geblieben, aber dafür ein Gefühl. Ein Gefühl der Heimeligkeit und Sympathie, das in der Folge geprägt wurde durch die regelmäßigen Besuche der Quasi-Verwandschaft, durch endlose Sommerferien auf Almwiesen, durch die eigene, ungewohnte Sprachmelodie der elterlichen Freunde. Und vor allem: Schnee und Berge. Schnee, mindestens und immer weit überkopfhoch. Was bei einer kindlichen Körpergröße von circa einem Meter respektabel, aber doch nicht ganz ungewöhnlich ist. Insofern hat sich in mir der Marketing-Traum eines jeden Tourismus-Managers verwirklicht, wurde ich doch schon früh, lange bevor Snowboards überhaupt ein Thema waren, mit sämtlichen Klischees, die man mit der Schweiz verbindet, nicht nur konfrontiert, sondern regelrecht infiltriert.

Die bangen Momente an der Grenzkontrolle und die obligatorische Frage „Haben sie Waren dabei?“ waren ebenso Kindheitserlebnis wie der Extra-Geldbeutel mit ein paar Franken- und Rappen-Münzen, aus dem man im Migros-Supermarkt ein paar Schokotäfelchen mit Schweizerkreuz erstehen durfte. Vor allem aber führten die Bündner Freunde unsere Familie in ein sehr „spezielles“ Lebensgefühl ein, in dem Verlässlichkeit und Korrektheit überhaupt keinen Widerspruch zu Freigeist, Kreativität und Savoir Vivre darstellten. Schon lange bevor Anglizismen von „Outdoor“ bis „Work- Life-Balance“ die Alltags-, Arbeits- und Freizeit-Kultur der modernen Gesellschaft beherrschten, lebte uns der Schweizer Freundeskreis einen pragmatisch-modernen Lebensstil vor, in dem progressive Elemente wie Naturverbundenheit, Aktivität, Kunst, Selbstverwirklichung und Genuß ganz selbstverständlich mit recht konservativen Vorstellungen von Bodenständigkeit, Ordnung, Erfolgsstreben und auch finanzieller Sicherheit einhergingen.

Durch die Goggle eines Snowboarders gesehen, könnte es durchaus sein, dass dieses schweizerische Lebensgefühl dem Shred-Lifestyle bei den Eidgenossen von Anfang einen sehr speziellen (!) Nährboden bereitet hat. Individualismus, Progressivität, Style und Ästhetik sind in der Schweizer Snowboard-Szene präsent wie nirgendwo sonst. Gleichzeitig stimmen aber auch die Hardfacts und die Performance: Keine andere europäische Nation bringt in solcher Vielfalt sowohl Powder-Legenden als auch Pipe-Olympiasieger gleichermaßen hervor.

So, wie die Schweizer ihrer Bergwelt als Wirtschafts- und Tourismusfaktor einen ziemlich speziellen Style geben, zwischen traditionellem Heidiland und modernem Flair, so wird auch Snowboarden in der Schweiz ein bisschen anders interpretiert. Sehr speziell, eben. Vom Fondue-Klischee bis hin zum Powder-Butter – die Schweiz ist und bleibt ein teurer, aber erstrebenswerter Sehnsuchtsort.

Inhalt

132 Seiten
Nicolas Müller x Fredi Kalbermatten
Passion. Vision. Laax.
Swissstory
Levi Luggen x Max Buri
Bosco Gurin Travel Story
Stick a Trick - Power Turns