Pleasure 134

Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass es mir an Erfahrung mangelt, was das Verfassen von „Intro“-Texten anbelangt. Schon in der allerersten Pleasure-Ausgabe gab es den ersten Prototypen dessen, was sich später zu einer Art Kolumne entwickeln sollte, die jede Pleasure-Ausgabe textlich eröffnet. Damals, beim ersten Versuch, hieß das gute Stück noch „Tagtraum“ und versteckte sich irgendwo in der Heftmitte. Aber schon damals ging's um glitzernde Schneekristalle und das Knirschen unseres kalten Lieblingselements unter den Sohlen. Ein Bild, das ich in den folgenden Jahrzehnten mindestens genauso oft bemüht habe, wie generell die entsprechende Wetterlage. Gott sei Dank gönnte mir die Muse auch die eine oder andere weiterführende Idee, manchmal sogar eine lustige. So hatten wir's von an der Wand zerschmetterten Whiskey-Gläsern und anderen Highlights des damals noch studentischen Lebens ebenso, wie von Problemen der süditalienischen Abwasserwirtschaft oder sprechenden Toastern.

Mit mehr oder weniger intensivem Einsatz sämtlicher Kreativ-Techniken von Schlafentzug bis Koffeinrausch war es immer Ziel, von einer absurden Weisheit ausgehend, zum Text-Ende den Bogen Richtung Snowboarden und seinen positiven Auswirkungen auf das Seelenheil grundsätzlich freigeistiger, meist junger Menschen zu schlagen. Oftmals zierte sich der dringend benötigte zündende Gedanke derart, dass einem nichts anderes übrig blieb, als ihn mit der vielzitierten legendären Flasche Bardolino anzulocken, auf die er, der Gedanke, noch immer hereingefallen ist.

Diesmal jedoch ist es anders. Als wir „Upside / Downside“ zum Leitmotiv dieser Ausgabe erkoren haben, hatten wir die vielschichtigen Ambivalenzen im Sinn, die sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln im Snowboarden eröffnen. Alltag und Alltagsflucht, Vergnügen und Verpflichtung, Spaß und Risiko, Freiheit und Gesellschaftszwang, Heimweh und Fernweh, Bedarf und Bedürfnis, Liftticketspreis und Kontostand, banal oder tiefschürfend. Das Heft war praktisch fertig, die Bretter für den Spring Shred gewachst – und plötzlich war die Welt aus den Fugen.

Von meinem Balkon aus schaue ich bei strahlend blauem Himmel auf die schneebedeckten Bergzüge – doch es läuft schon seit ein paar Tagen kein Lift mehr. Das Bedauern des frühen Saisonendes ist längst verdrängt von viel essentielleren Sorgen. Anstatt rauszugehen, ist Daheimbleiben die Devise. Plötzlich befinden wir uns im „Epizentrum einer Pandemie“, deren Auswirkungen auf uns, unsere Familien und Freunde, die Gesellschaft und die gesamte Welt, wie wir sie kennen, überhaupt nicht abzuschätzen sind. Wenn dieses Heft erscheint, ist die vergangene Saison schon längst passé, nur noch präsent in den Erinnerungen und Gedanken, die die freiwillige oder erzwungene Isolation erträglicher machen sollen.

Zukunftsforscher sind der Meinung, dass sich nach globalen Zäsuren wie der aktuellen Corona-Epidemie die Welt verändern könnte. Deshalb bleibt der inhaltliche Brückenschlag zum Snowboarden bei diesem Intro aus – es wäre eine Plattitüde auf dem Niveau eines Kalenderblattspruchs geworden. Statt „nur“ auf baldige Powderturns nach der Krise zu warten, sollten wir stattdessen auf nichts Geringeres als eine geläuterte, bessere Welt hoffen. Es liegt an uns.

Bene

Inhalt

116 Seiten
Werni Stock
Griechenland
Elena Könz & Celia Petrig
Libanon
Marie-France Roy
Aaron Schwartz
Eric Jackson
Nick Russell
Riding Offline
... und vieles mehr!