Pleasure 118

Ich bin ein großer Freund von Metaphern. Bildhafte Sprachfiguren sind dann gelungen, wenn sie komplizierte Dinge schnell begreifbar machen. Deshalb bemühe ich auch in heutigen Zeiten des papierlosen Büros das Bild, dass mir etwas „auf den Schreibtisch flattert.“ Ungeachtet der Realität, dass an Schreibtischen kaum noch geschrieben, sondern eher getippt wird, wobei ein „Tipptisch“ sich nach Wettbüro anhört und überhaupt die Nichtgleichsetzung von Tippen und Schreiben nahe der Pedanterie angesiedelt ist. Trotzdem: Wenn einem eine „Mail in die Inbox swoosht“ hat das nichts von der romantischen Vorstellung eines Schmetterlings, der unstet im Sonnenlicht flatternd von Farbreiz zu Farbreiz eilt, um sich dann auf einer wie zufällig ausgewählten Blüte des Blumenmeers niederzulassen.

Mir swoosht also ein PDF in die Inbox, dessen Inhalt sich auf Umwegen damit auseinandersetzt, was in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten so passiert ist in unserer First-World-Gesellschaft, in Sachen „Trendsportarten“ und „Jugendkulturen.“ Kurz zusammengefasst und stark abgekürzt schrieb der in Sachen Metaphern leider völlig talentfreie Autor die Geschichte einer unbekannten Band im Prä-Youtube-Zeitalter, deren unglaublich coole Gründungsmitglieder tolle Lieder schrieben und live performten. Mit einer ehrlichen Show, einer authentischen Message. Vor einer Handvoll Fans auf Mini-Bühnen, jeder zahlte sein Bier selbst, und wer gerade nicht flüssig war, bekam halt eins von jemand anderem aus- gegeben. Alleine da zu sein und das „richtige“ Motiv auf dem T-Shirt zu haben, war Authentizitäts-Beweis genug, um in die verschworene Fangemeinde aufgenommen zu werden.

Doch dann sprach sich das rum. Boom. Radio, TV, Auto-Werbung. Richtig Druck auf dem Kessel und jede Menge Kohle. Das wilde Tier „Mainstream“ witterte fette Beute und gierte nach mehr: Alle guten und nicht so guten Bands mit ähnlichem Stil bekommen auch Verträge, es wird gecastet und vermarktet, und neben vielen guten Künstlern wird auch wahnsinnig viel Schrott auf den Markt geworfen. Aber die Hallen sind voll, die Umsätze stimmen, jede Menge Profiteure verdienen Unmengen Geld, weil wahnsinnig viele Menschen einfach wahnsinnig glücklich sind mit den zig Bands, die ihnen das vorsingen, was sie hören wollen, anstatt umgekehrt. Das einst einzig wahre Tour-T-Shirt-Motiv hängt als Lizenzprodukt bei globalen Textildiscountern, die Insider-Gigs in den Clubs sind zu Stadion-Events mutiert. Alle Codes und Symboliken, die einst das „Wir“-Gefühl der Hardcore-Fans begründeten, sind von der ursprünglichen Message entkoppelt und befriedigen die Konsum-Lust der breiten Masse. Die hat Spaß, bis der Zeitgeist wieder anders tickt.

Diese Geschichte ist nicht traurig oder bedauerlich. Sie ist bereits x-fach erzählt worden. Es gibt sie in den Versionen „Punk“ oder „Rap“ oder „Techno“ oder „Skateboarden“ oder auch „Snowboarden der 1990er-Jahre“. Dabei waren es oft die Verheerungen des Mainstreams, die ein neues, spannendes Kapitel erst ermöglicht haben. Für diese Pleasure-Ausgabe unter dem Motto „Live To Ride“ haben wir uns gefragt, was „jeman- den, der gerne Snowboard fährt“, zu einem „Snowboarder“ macht. Es kommt nicht darauf an, wie oft oder wie lange man schon auf dem Brett steht. Sondern warum.

Inhalt

132 Seiten
Elias Elhardt Portrait
Scotty Wittlake Interview
Stevens Pass Travel Story
Sam Taxwood Interview
KBR Productions Portrait
James Niederberger Interview
Mount Baker Travel Story
Live to Ride