Pleasure 117

Die „Erfindung“ der sogenannten sozialen Medien hat den Begriff der Freundschaft in eine numerische Dimension katapultiert, die selbst die sozial kompetentesten Zeitgenossen überfordern dürfte, sofern sie sich an der eigentlichen Definition von „Freundschaft“ orientieren. Diese beschreibt Freunde als Menschen, die „eine auf gegenseitiger vertrauensvoller Zuneigung beruhende Beziehung“ verbindet. Ganz ehrlich, bei mehreren 100 oder gar 1000 persönlichen Freunden hört sich gegenseitige Zuneigung verdammt nach Sozialstress an, wenn man so wertvolle Beziehungen auch noch pflegen will.

Die 50.000 „Fans“ der Pleasure- Page sind da leichter zu handhaben. In einem gut gefüllten Fußballstadion (um bei der Dimension zu bleiben) mag zwar Liebe oder zumindest Zuneigung zu Verein und Spielern ebenfalls eine Rolle spielen, in erster Linie eint hier aber doch ein gemeinsames Interesse an Entertainment, das nur bedingt auf Gegenseitigkeit beruht. Mal abge- sehen von den (Hard-)Core-Fans in der Kurve, denen die Interaktion mit den Protagonisten mindestens so wichtig ist wie das gemeinsame (Erfolgs-)Erlebnis.

Als wir in der Redaktion zum ersten Mal über ein Thema für diese Ausgabe diskutiert hatten, kam „Friends & Family“ wie aus der Kanone geschossen aufs Tableau. Zu offensichtlich war der Bezug zum Snowboarden. Einer immerhin olympischen Sportart, in der zumindest in unserem Verbreitungsgebiet ein Vereinswesen praktisch nicht existent ist. Im Gegensatz zu fast allen anderen Sportarten sind im Snowboarden sämtliche soziale Strukturen, die um (erwerbbare) „Mitgliedschaften“ aufgebaut sind, ab einer gewissen Größe bisher gescheitert. Stattdessen bilden sich Beziehungsgeflechte im freundschaftlichen Crew-Gedanken ab – Crew Love Is True Love. Und die entsteht eben nur, wenn die Sache mit der gegenseitigen vertrauens- vollen Zuneigung tatsächlich präsent ist. Da sind die Kapazitäten eben schnell erschöpft, denn schon die Oma sagte immer: „Mehr als 5 richtig gute Freunde werden dir nie bleiben, um mehr kannst du dich gar nicht kümmern.“

Die weltweit ziemlich bekannte und auch erfolgreiche US-Crew der „Frends“ um Fahrer wie Danny Davis & Co, hat sich sogar den Slogan „There is no I in Frends“ ausgedacht, um doppeldeutig die Bedeutung der Crew zu propagieren. Was sich super anhört, aber eigentlich Unsinn ist. Denn bei sozialen Beziehungen geht es immer auch um das „I“. I wie Ich, I wie Individuum. Hätte der Aus- druck „Individualsportart“ nicht schon bestanden, er hätte für Snowboarden erfunden werden müssen. Jenseits aller verklärenden Marketingschwurbeleien geht es im Snowboarden wie im Leben generell um die Ich-Entwicklung – also um nichts weniger als die Frage „Wer bin ich“. Snowboarden schweißt all diese „Ichs“ durch die gemeinsame Begeisterung zusammen, über geographische, kulturelle, soziale und Altersgrenzen hinweg. Snowboarden bietet so viel Raum für so viele „Ichs“ in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien, die alle ihren Weg gehen können: Jedes für sich, jedes anders, und doch gemeinsam.

Ob man durch und mit Snowboarden übrigens das finale Stadium der psychosozialen Entwicklung erreichen kann, nämlich Weisheit und dadurch Furchtlosigkeit vor dem Tod – das wird diese Ausgabe leider nicht beantworten können.

Inhalt

132 Seiten
Brendan & Red Gerard Interview
The Hippie Jump
Antti Autti & Miikka Hast Interview
Youngblood - Maxi Preissinger
The Mindnich Mindset
Danny Davis' Peace Park
Stick a Trick - Liptricks mit James Niederberger