Yawgoons - Helden aus der zweiten Reihe

Portrait
Christian Öfner
Erik Hoffman
Yawgoo Valley
Erschienen in
Pleasure 119
Stefan Götschl

Yawgoons - Helden aus der zweiten Reihe

Dylan Gamache, Brendan Gouin, Brian Skorupski sowie Marcus und Mary Rand. Vier Jungs und ein Mädel aus Rhode Island, deren Namen in der Snowboardwelt weitestgehend unbekannt sind und deren Home-Resort Yawgoo Valley Ski Area & Water Park die Bezeichnung „Skigebiet“ gerade mal so irgendwie verdient hat. Die fünf sind Snowboarder. Natürlich! Und um sich das leisten zu können: Gärtner, Zahnarzt, Badewärter, Maurer und Kellner. Trotzdem (vielleicht sogar gerade deshalb?) zählt ihre Clip-Serie Yawgoons mit über 100.000 Views zu den erfolgreichsten Snowboardvideos im Web.

Wer

Die Yawgoons sind der Gegenentwurf zur großen US-Hollywood-Show der Snowboardwelt. Jenes Universum, in dem scheinbar immer die Sonne scheint, traumhafte Bergketten das Panorama prägen, gutbezahlte Pros dem Schnee auf Kosten des Energy-Drink-Sponsors hinterher fliegen und dabei nur zwischen geschleckten Parks in Kalifornien und metertiefem Powder in Utah wählen müssen.

Brian Skorupski
Erik Hoffman
Yawgoo Valley

Yawgoons ist anders – ziemlich anders. Fernab der eigentlichen Szene kann man in Rhode Island an der US-Ostküste mit Snowboarden wenig bis kein Geld verdienen. Im Grunde kann man hier schon nicht mal wirklich Snowboard fahren ... geschweige denn das Hobby zum Beruf machen. Also machen die Yawgoons, was unsereins ebenfalls anstellen muss, um snowboarden zu können: Sie gehen arbeiten und verbringen die Freizeit auf dem Berg ... oder Hügel, wie man’s nimmt. Zahnarzt Brendan Gouin kümmert sich nicht nur um Produktion, Kamera und Schnitt der Edits, sondern auch um die Füllungen der restlichen Yawgoons. Marcus Rand ist Maurer, Brian Skorupski arbeitet während der Sommermonate als Life Guard, um sich mit dem Geld den Winter als Snowboarder finanzieren zu können, und selbst die beiden Aushängeschilder der Crew – Dylan Gamache und Mary Rand – sind weit davon entfernt, von ihren Sponsorengeldern leben zu können, und jobben deshalb nebenbei als Gärtner und Kellnerin.

Yawgoons ist mehr als einfach nur die Summe von fünf unterschiedlichen Charakteren. Die Filme sind Resultat eines Freundeskreises, der deshalb so gut als Filmcrew agieren kann, weil die Stärken des einen die Schwächen des anderen ausgleichen können. So fällt es zum Beispiel nicht weiter ins Gewicht, dass Dylans sehr stille und zurückgezogene Art nur bedingt förderlich für die Verbreitung der Clips ist. Er leistet seinen Beitrag durch seine außerordentliche Brettkontrolle und spielt somit eben eine andere – nicht minder maßgebliche – Rolle für die Bedeutung der Yawgoons-Serie, während sich Brendan und Marcus um das Organisatorische und die Verbreitung der Filme im Internet kümmern.

Erik Hoffman
Yawgoo Valley
Dylan Gamache
Erik Hoffman
Yawgoo Valley

Wie in einer Symbiose profitieren alle fünf von den Qualitäten des Einzelnen. Ein Freundeskreis, dessen Mitglieder sich seit vielen Jahren kennen, alle aus der gleichen Ecke kommen und die Snowboarden als gemeinsames Hobby entdeckt haben. Zu was das führt, wenn sich dazu auch noch Talent und Willensdrang gesellt, sieht man in ihren Filmen.

Was

Scott Stevens trifft auf Serge Vitelli trifft auf Jed Anderson. Oder: Kreative Brettkontrolle trifft auf Turns trifft auf außerordentliches Railriding. Was die Yawgoons machen, entspricht so gar nicht irgendwelchen Konventionen und lässt sich deshalb angenehm unspektakulär am besten als „snowboarden“ bezeichnen. So springt Dylan gerne mal übers Minicliff, bonkt den unscheinbaren Bretterhaufen, bevor er auf der Kante quer über die Piste schneidet und dort erst mit Nosepress auf dem Downrail (das er von der Seite anspringt) überzeugt und dann eine eigenartige XXL-Stahlkette ansteuert, die als S-Rail in den Schnee gelegt wurde. Die „Talabfahrt“ endet mit einem Wallride an der Treppe des Mini-Restaurants, bevor es mit dem Rope Tow (eine Art Seil-Lift, die in Europa mittlerweile so undenkbar ist, dass es dafür noch nicht mal eine anständige Übersetzung gibt) wieder hoch geht ... und der nächste Run wieder aus Tricks besteht, für die es in 50 Prozent der Fälle keine Namen gibt.

Dylan Gamache
Erik Hoffman
Groton

In Yawgoo Valley stehen keine krassen Parkfeatures. Keine Obstacles im übertragenen Snowboarder-Sinn in Form von perfekten Boxen und Rails, sondern Obstacles im wortwörtlich übersetzen Sinn: Hindernisse. Hindernisse, an denen man sich austoben kann. Konventionelles Parkriding fällt somit von Natur aus flach und „Out of the box“ zu denken, ist somit weniger Ausdruck ausgelebter Kreativität, sondern zwingende Notwendigkeit.

Wo

Yawgoo Valley Ski Area & Waterpark in Exeter, Rhode Island. Bei wenig Verkehr drei Stunden östlich von New York und zwei Stunden westlich von Boston. In der Realität ist beides illusorisch, weshalb die Metropolen weniger Einzugsgebiet als Richtwert sind, um die Gegend geographisch einordnen zu können. Das ist gut so. Denn bei über 23 Millionen Einwohnern schon allein in den Metropolregionen der beiden Städte wären die beiden alten 2er-Sessellifte und der Übungslift schnell an ihren Kapazitätsgrenzen.

Brian Skorupski
Erik Hoffman
Yawgoo Valley

1742 gegründet, geht Exeter für amerikanische Verhältnisse als alt durch und in einigen Punkten ist Amerika hier auch noch so, wie es vor vielen, vielen, vielen Jahren gewesen ist: über 96 Prozent der 6.425 Einwohner sind weiß, über 64 Prozent sind verheiratet und ein Haushalt verdient fast 15.000 Dollar mehr als im US-Durchschnitt. Was erst mal spießig und abschreckend klingt, ist nichtsdestotrotz liberaler und angenehmer, als man denkt. Gewählt wird fast ausschließlich demokratisch, die Todesstrafe hat man schon vor 170 Jahren abgeschafft, längst wurden Homo-Ehen erlaubt und als dritter Staat hat man 2011 Marihuana legalisiert. Rhode Island, ein Ort, an dem die Welt meist noch in Ordnung ist. Nur eines ist man ganz bestimmt nicht: bekannt für hohe Berge. Und Yawgoo Valley, das einzige Skigebiet des Bundesstaates, schon erst recht nicht. Daran ändern auch die 94 Höhenmeter nichts. Zum Vergleich: Snow Hall Amneville, die höchste Skihalle der Welt, kommt auf immerhin 90 Meter.

Wer an Snowboarden in den Vereinigten Staaten denkt, hat Bilder von Colorado, Utah und Kalifornien im Kopf. Luxusresorts mit gutem Schnee und noch besseren Parks. Was für den Westen weitestgehend stimmt – hat hier im Osten, zehn Kilometer vom Strand des Atlantiks entfernt, so gar keine Bedeutung. Romantische Chalets, teure Steakhouses und Shoppingmeilen? Keine Chance. Unzählige Pisten für jedes Fahrlevel? Leider nein. Ein Park mit vielen Jumps? Mangelware. Eine Halfpipe? Ja, genau! Rails? Eine Handvoll, alle selbstgeschweißt und selbstbezahlt.

Dylan Gamache
Erik Hoffman
Yawgoo Valley

Yawgoo Valley ist die Art von Gebiet, die jeder Local gerne irgendwann hinter sich gelassen hätte. Die erste große Liebe zum einen ... ein Kompromiss und die einzige Alternative weit und breit zum anderen. Aber es gibt Schnee. Und auch wenn der meist aus der Maschine kommt, ist es doch genug, um dem nachzugehen, weshalb die Yawgoons hierherkommen: snowboarden.

Warum

Yawgoons funktioniert, weil es ehrlich ist und fünf Freunde zusammenarbeiten, die allesamt eine stattliche Portion Expertendasein in unterschiedlichen Bereichen mitbringen. Die Filme folgen dabei simplen Gesetzen der Unterhaltung – sie überraschen und begeistern – und kommen deshalb auf über 100.000 Views pro Episode. Zum Vergleich: Der Part von Nicolas Müller in Nikes Never Not erreichte auf dem offiziellen Nike-YouTube-Kanal weniger als die Hälfte. Big Name und große Werbung inklusive.

Dylan Gamache
Erik Hoffman
Rhode Island

Snowboard-Videos gibt ist hundertfach im Internet. Frontside 7 über den Kicker, 270 Boardslide auf dem Downrail und Handplant auf dem Wallride. Egal ob aus Keystone, Perisher in Australien oder dem Stubaier Gletscher – 99 Prozent aller Edits folgen der gleichen Machart. Yawgoo Valley ist anders – weshalb auch die Clips der Yawgoons anders sind. Die fehlende Infrastruktur des Gebiets ist Fluch und Segen zugleich, denn bedingt durch den kreativen Umgang mit den vorhandenen Mitteln entstehen Edits, die angenehm anders sind und den Einheitsbrei etwas auflockern.

Die Fünf profitieren dabei nicht nur von der Einzigartigkeit ihrer Videos, sondern auch davon, dass sich der normale Snowboarder darin wiederfinden kann, weil ihm das Gelände vertraut vorkommt. Der perfekte Absolut Park in Flachauwinkl, die lasergetrimmte Superpipe von Vail, der Heli-Run in AK – das alles schürt Träume und Wünsche, damit identifizieren kann sich allerdings nicht jeder. Yawgoo Valley ist der Spielplatz um die Ecke, den jeder kennt. Und darüber hinaus als Skigebiet so beschissen, dass es selbst der größte Pessimist auf kein unerreichbares Podest stellen kann. Trotzdem sehen die Filme nach Spaß aus ... und laden dazu ein, das Vorhandene zu schätzen und das Beste daraus zu machen. Das beweisen die Yawgoons.

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