Lost in the Ice

Travel Story
Michi Lehmann
Markus Rohrbacher
Spitzbergen
Erschienen in
Pleasure 124/125
Stefan Götschl

Lost in the Ice

Kreativität entsteht aus dem Drang heraus, Grenzen auszuloten und Dinge anders anzugehen, als der Rest. Eine Eigenschaft, die Snowboarden voll und ganz verkörpert. Und das nicht nur nach außen hin, sondern auch innerhalb des Kreises. Top-Athleten, die sich ihre Anerkennung über die Contest-Schiene erkämpfen, Powder-Hunter, die niemals eine präparierte Piste shredden und Rail-Enthusiasten, die auf eine einsame Insel im Polarmeer fliegen, um in einer noch einsameren Geisterstadt ihre Street-Credibility unter Beweis zu stellen ...

Die Idee, nach Spitzbergen zu reisen, um in der verlassenen Kohlesiedlung Pyramiden Shots für den aktuellen Nitro-Film „Boom“ zu produzieren, entstand im Februar letzten Jahres in Zusammenarbeit mit Steve von „The Empire“, der auf Expeditionen in Spitzbergen und Island spezialisiert ist. Viele Informationen über das eisige Eiland und die geplante Mission „Geisterstadt“ hatte die Nitro-Crew zu dieser Zeit noch nicht. Nur so viel: Es leben mehr Eisbären auf Spitzbergen als Menschen. Um genau zu sein, wohnen nicht einmal 3000 Menschen dauerhaft auf der Insel. Fast alle davon im Hauptort Longyearbyen, der von Norwegen aus verwaltet wird.

Auf Spitzbergen ist nichts wirklich einfach. Alles, was auf der Insel benötigt wird, kommt per Schiff oder mit dem Flugzeug. Für eine Snowboardproduktion, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in völliger Abgeschiedenheit filmen zu gehen, eine durchaus sportliche Aufgabe. Schließlich müssen Generator, Winch und sämtliche weitere Ausrüstungsgegenstände nicht nur nach Longyearbyen verfrachtet werden, sondern von dort aus weiter per Boot über den Isfjord zur verlassenen Kommune Pyramiden.

Die ehemalige Bergbausiedlung aus den 1920er Jahren liegt etwa zwei Stunden von Longyearbyen entfernt und wurde bis zu ihrer Schließung von den Russen geführt, die in Pyramiden Rohstoffe abbauten. Obwohl das Geschäft nie wirklich lukrativ war, hielt man an der nördlichsten Stadt der Welt bis Ende der 90er-Jahre fest. Neben dem Abbau von Kohle setzten die Kommunisten nach dem zweiten Weltkrieg auch auf Tourismus und investierten viel Geld in die Infrastruktur. Es wurde ein Hotel gebaut und für die Familien der Arbeiter eine Schule, ein Kindergarten und ein Kino. 1998 legte man die Geschäfte in Pyramiden dann sprichwörtlich auf Eis und machte die Stadt von heute auf morgen dicht. Die meisten Gebäude waren damals keine zehn Jahre alt, so dass die Siedlung bis heute den Charakter einer konservierten Geisterstadt aufweist. Mittlerweile sind in Pyramiden wieder eine Handvoll Arbeiter beschäftigt, die sich vor allem um den Erhalt der Gebäude kümmern.

Sasha ist einer dieser Angestellten, der hier oben nach dem Rechten sieht und ab und zu Touristen durch die Stadt führt. So wie in diesem Fall Team Nitro um Fahrer Eero Ettala, Torgeir Bergrem und Sam Taxwood. Die wenigen Touristen, die sich im Sommer von Longyearbyen aus hierher verirren, interessieren sich vor allem für die nostalgische Atmosphäre der Geisterstadt – bei den Jungs von Nitro ging es eher um Action.

Zumindest zeitlich sollte man damit keinerlei Probleme bekommen. In einer Woche brauchbares Material auf Film zu sammeln, dürfte bei 24 Stunden Tageslicht machbar sein. In Sachen Schnee gestaltete sich das Vorhaben dann doch etwas schwieriger. Aufrgund des ungewöhnlich milden Winter befand sich nämlich nicht wirklich viel davon in der kleinen Stadt. Glücklicherweise bot die Anwesenheit der Profi-Snowboarder eine willkommene Abwechslung für die russischen Arbeiter, die zu dieser Jahreszeit nichts zu tun hatten. Mit großem Eifer schaufelten sie mit Hilfe ihres Baggers Tonnen an Schnee von A nach B, um das Vorhaben Snowboarden in Pyramiden zu unterstützen. Warum allerdings jemand auf die Idee kommt, mit einem Snowboard auf ein rostiges Metallgeländer zu rutschen, verstanden sie nicht.

Mit der Zeit hatten sich die Russen jedoch an das Bild gewöhnt und auch die Crew kam zunehmend besser mit den Gegebenheiten vor Ort zurecht. Größere Spots, die man in unmittelbarer Nähe des Quartiers vorfand, waren dank der Winch und der Hilfe der Arbeiter machbar. Und nach gut einer Woche hatte man so eine perfekte Mischung an Wallrides, Rail-Shots und Drops auf Film gebannt, und die Rückreise nach Longyearbyen stand kurz bevor.

Die warmen Temperaturen der letzten Monate hatten das Eis entlang des Fjords zum Schmelzen gebracht und einen Anlegeplatz für das Boot zu finden, gestaltete sich äußerst schwierig. Erst nach stundenlanger Suche fand einer der Guides ein paar Kilometer außerhalb der Stadt einen geeigneten Spot. Auf einer hauchdünnen Eisschicht wurde sämtliches Material zum Anlegeplatz geshuttelt und von dort aus weiter per Schlauchboot zum eigentlichen Schiff. Die ganze Aktion war äußerst heikel, schließlich hatte nur der Guides ein Gewehr bei sich. Im Falle eines Eisbärenangriffs wäre die Crew also auf sich alleine gestellt.

Aber alles verlief nach Plan, und zurück in Longyearbyen stellte die Crew schnell fest, dass man in den vergangene Tagen abseits der Zivilisation nicht wirklich etwas verpasst hatte. Der Trip war erfolgreich verlaufen und Snowboarden wieder einmal um eine kreativen Aspekt reicher.

Ihr habt die Pleasure Doppelausgabe 124/125 noch nicht? Skandal! Am besten direkt hier bestellen. Oder noch besser: Prämie absahnen, Geld sparen, nie mehr eine Ausgabe verpassen und Abo abschließen.

 

Noch mehr gibt's auf Instagram: Markus Rohrbacher / Eero Ettala / Sam Taxwood / Torgeir Bergrem / Nitro Snowboards

Weitere Artikel zum Thema