Sochifornia

Travel Story
Colin Wiseman
Colin Wiseman
Erschienen in
Pleasure 132
Eileen Broadhead

Sochifornia

"Es ist Mitte Februar. In Südkorea sind gerade die Olympischen Spiele gestartet. Vor vier Jahren waren die Winterspiele in Sotschi zu Gast. Die Schnee-Events wurden 25 Meilen weiter oben im Mzymta River Valley in Rosa Khutor ausgetragen. Es hat den Ort verändert. Das historische Bergdorf Krasnaya Polyana konnte sich etwas von seinem Charakter erhalten. Esto-Sadok wurde mit einer Fußgängerzone, einem Einkaufszentrum, einem Casino und so ziemlich allem weiteren Drum und Dran einer klassischen Resortstadt aufgeblasen. Was die Snowboardwelt von diesen Spielen sah, fand meist etwas weiter unten statt, dort wo es wenig Schnee und viel Security gab. Was Ryland Bell und Moss Halladay während ihres ersten Trips in 2016 sahen, war vollkommen anders. Es schneite. Sie staubten ab. Sie wollten mehr."

Eine Travel-Story von Colin Wisemann.

Klopf, klopf, klopf. Ryland Bell schlägt in den Schnee. Er krallt sich eine nahezu vertikale Wand hinauf, um Zugang zu einer kleinen aber feinen Ridge inmitten eines steilen Face’ voller Rinnen und Spines zu bekommen.

Klopf, klopf, klopf. Kael Martin tritt einige Stufen in den Schnee, um Schwung für einen Air zu bekommen, mit dem er seine Line beenden will.

Klopf, klopf, klopf. Der DJ spult wie jeden Nachmittag seinen House-Mix ab. In der Nachmittagssonne erhöht er langsam das Tempo. Gute 1000 Höhenmeter über dem Bergdorf. Von hier oben können wir auch die Aprés-Szene sehen, die sich munter am Fuße des Lifts tummelt. Die Go-go-Girls sind mittlerweile wahrscheinlich schon auf der Bühne, tanzen für die mit Wodka vollgetankten Urlauber aus den tiefgefrorenen Städten weiter nördlich.

Klopf, klopf, klopf. Moss Halladay nickt mit dem Kopf unterbewusst zu dem Beat, als er seine Drohne vorbereitet. Ryland ist beinahe zum Drop-In bereit. Wir haben fast ausschließlich die Gondel benutzt, um hierher zu kommen. Ein zweiminütiger Hike und ein kurzes Seilstück noch, das war’s. Es hat seit vier Tagen nicht mehr geschneit. Die Sonne hat die südlichen Pisten gebrutzelt, doch der Powder ist stabil, gesetzt und unverspurt. Niemand ist diese Lines gefahren. Niemand kommt hierher, um Spines zu fahren. Willkommen in „Sochifornia!

Colin Wiseman
Colin Wiseman
Kael Martin
Colin Wiseman

Im vergangenen Herbst erzählte mir Ryland Geschichten von unberührten Steilhängen und endlosen Lines hinunter ins Tal: massive Walls, Spines, offene Bowls, Lines durch lichte Birkenwälder, Pillows ohne Ende. Es hörte sich an, als würde er von einer Mischung aus Japan und Alaska schwärmen – bloß eben am Schwarzen Meer. Der Traum eines jeden Freeriders.

Ist Ryland von Big-Mountain-Terrain begeistert, heißt das etwas. Der Kerl ist schon einige der heftigsten Lines Alaskas gefahren. Seine Erzählungen haben ausgereicht, um mich dem mühsamen Prozess der Beantragung eines russischen Reisevisums zu unterwerfen. Mal ganz abgesehen von der 40-stündigen Reiseroute. Das Gleiche galt für Kael Martin, Andrew Irwin und Chris Galvin. Die beiden Letztgenannten sind mit Ryland Teil ihrer „White Fire Crew“. Zuhause in Tahoe fahren sie zusammen fast jeden Tag – egal, wie gut oder schlecht die Bedingungen sind.

Abgesehen von Rylands Schilderungen, wusste ich vor unserer Ankunft in Sotschi Folgendes über die Berge des Gebiets:

- Gazprom Resort, etwas überhalb des Tals von Krasnaya Polyana in Esto-Sadok, ist das Lieblingsgebiet des russischen Präsidenten Vladimir Putin. Es gehört dem gleichnamigen, staatlich geführten Gasgiganten und wurde 2014 während des olympischen 50-Milliarden-Dollar-Booms gebaut. Putin erreicht es von seinem Ferienhaus nahe Sotschi via Hubschrauber. Das Gebiet ist für reiche Menschen, die entspannte Groomers und hohe Sicherheitsstufen bevorzugen.

- Zwei weitere Gebiete, Alpika und Gorky Gorod, wurden ebenso in den 2010er Jahren gebaut und können vom unteren Bereich von Esto-Sadok erreicht werden (auch als „Gorky Gorod“ bekannt).

- Rosa Khutor, das 2003 errichtet wurde, ist mit Abstand das größte Gebiet. Mit knapp 1.800 fahrbaren Höhenmetern und 26 Liften wird die umfangreiche Infrastruktur in Zusammenarbeit mit dem französischen Freizeit-Marktführer Compagnie des Alpes seit 2010 geleitet. Was die Ausmaße und den Komfort betrifft, konkurriert man hier mit den größten Resorts der Welt.

- Sucht man nach „Rosa Khutor“ auf Instagram, findet man fast genauso viele Fotos von Menschen in Bikinis und Hotelzimmern, wie man Menschen auf den Pisten sieht. Es ist ein Ort für Partys und all jene, dir ihr Vermögen gerne und offen zur Schau stellen. Wer will, kann auch Snowboarden oder Skifahren.

Colin Wiseman

Wie es in Sochi wirklich aussieht und was die Jungs dort alles erlebt haben, lest ihr in der Transitions Ausgabe 132. Habt ihr nicht? Skandal! Dann besser direkt hier bestellen oder – noch viel besser – Abo abschließen oder Online abonnieren, Prämie absahnen und nie mehr eine Ausgabe verpassen.