Lofoten: Hinterm Polarkreis immer geradeaus

Travel Story
Knut Eliassen
Markus Rohrbacher
Lofoten
Erschienen in
Powder Special 2016
Stefan Götschl

Lofoten: Hinterm Polarkreis immer geradeaus

Norwegens Natur ist eine der reizvollsten dieses Planeten. Das wird jeder bestätigen, der schon mal dort gewesen ist (oder ein Foto gesehen hat). Zehn Jahre meines Lebens habe ich in Norwegen verbracht. Die Aussage der ersten Satzes unterschreib’ ich, ohne eine Sekunde überlegen zu müssen. Ein Viertel des Landes liegt nördlich des Polarkreises und damit fernab der öffentlichen Wahrnehmung. Wer dorthin will, muss entweder ein Flugzeug besteigen ... oder sehr viel Zeit im Auto verbringen. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Zum Glück.

So verrückt es klingt, aber der Trip auf die Lofoten war eine Notlösung. Der ursprüngliche Plan bestand aus einer Route, die uns erst durch ganz Norwegen führen und in Spitzbergen, eine der nördlichsten Inselgruppen der Welt, hätte gipfeln sollen. Hätte – denn die ungewöhnlich warmen Temperaturen verhinderten ein sicheres Überqueren einiger Gletscherpassagen ... und stellte uns vor die Aufgabe, kurzfristig einen Alternativplan aufzustellen. Unser Durst nach atemberaubenden Gipfeln und traumhaften Lines war ungebrochen.

Markus Rohrbacher
Lofoten

Die Crew bestand aus Markus Keller, Nils Arvidsson, Elias Elhardt und mir selbst. Die Jeeps standen bereit, die Sonne war auf unserer Seite. Treffpunkt war der Flughafen von Oslo, von wo aus es in drei vollgepackten Autos zum Polarkreis gehen sollte. Erster Stopp auf der Route: Dombås, Marcus Klevelands Home Resort, das unserem Nitro-Teamkollegen freundlicherweise einen Schlüssel überlassen hatte. Trotz Saisonende kamen wir deshalb in den Genuss, einen Tag mit ihm in seinem privaten (!) Park zu verbringen. Scheinbar war es nicht sein erster Tag in dem Park ... Holy Moly! Ein paar Stunden später hatten wir einen ziemlich konkreten Eindruck davon, was die Generation Z auf dem Snowboard zu bieten hat. Die nächsten drei Tage im Auto konnten kommen – an Inspiration und Gesprächsthemen mangelte es uns nach der Kleveland-Show wahrlich nicht.

Erik Botner
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Rohrbacher
Lofoten

1500 Kilometer standen auf dem Programm. Niemand von uns war in Eile, also konnten wir den Weg genießen. Unberührte Flüsse, Berge, Wanderungen, Angelausflüge, Lagerfeuer, Zelten ... bald hatte uns die Natur fest im Griff. Gestoppt wurde, wo es uns am besten gefiel. Der anvisierte Schlafplatz musste lediglich fernab anderer Menschen sein, uns Zugang zu Wasser ermöglichen und – natürlich – eine Stelle für ein anständiges Lagerfeuer bieten. Noch so ein Grund, in Norwegen verliebt zu sein. Per Gesetz ist hier geklärt, dass man überall ein Zelt aufschlagen darf, solange man einen Abstand von 150 Metern zum nächsten Haus oder der nächsten Hütte einhält. Das spart nicht nur viel Geld, sondern bot uns die Möglichkeit, Wildnis und Land uneingeschränkt zu erleben. Kein 5-Sterne-Hotel kann dir dieses Gefühl bieten.

Nils Arvidsson
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Keller
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Rohrbacher
Lofoten
Knut Eliassen
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Keller
Markus Rohrbacher
Lofoten

Kaum hatten wir den nördlichen Polarkreis überquert, wurde uns auch die Mystik bewusst, die ihn umgibt. Es war 10 Uhr abends und taghell. Erst gegen Mitternacht verschwand die Sonne kurz vom Himmel, bevor sie um 3 Uhr wiederkehrte. Wir waren zum Snowboarden gekommen. Und hatten demzufolge über 20 Stunden, die wir jeden Tag auf dem Brett verbringen konnten.

Ziel unserer Reise waren die Lofoten, die größte Inselgruppe Norwegens. Ein magischer Ort. Was die Wikinger hier vor 11.000 Jahren begonnen hatten, wollten wir fortführen: ein Abenteuer. Auf der Suche nach dem Unbekannten und zahllosen Gipfeln, die sich aus dem Ozean erheben. Sehr zu unserem Vorteil hatte es Erik Botner, einen alten Nitro-Freund, zusammen mit Isenseven-Legende Fredrik Evensen auf die Lofoten verschlagen. Bereits seit ein paar Monaten arbeiteten die beiden an einem alten Fischerhaus, um daraus eine Unterkunft für Surfer und Snowboarder zu machen, die „Lofoten Apartments“. Das konnten wir uns nicht entgehen lassen und beschlossen, Erik und Fredrik in Hopen zu besuchen. Ein kleines Kaff von gerade mal 20 Leuten, zehn Minuten von der Hauptstadt Svolvær entfernt. Naja, „Hauptstadt“.

Knut Eliassen
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Keller
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Rohrbacher
Lofoten
Markus Rohrbacher
Lofoten

Gegen Mitternacht erreichten wir Hopen. Auch wenn die Sonne ausnahmsweise gerade mal untergegangen war, blieb niemandem die uns umgebende Schönheit verwehrt. Die Lage des Hauses: perfekt! Direkt am Wasser eines kleinen Fjords, auf dessen gegenüberliegender Seite mindestens acht Gipfel dem Meer entsprangen. Erik erzählte uns davon, wie er und Fredrik bei Neuschnee die 100 Meter auf die andere Seite schippern und dort unglaubliche Lines gefunden haben. Eher in einem Nebensatz ergänzte er, dass sie wohl die einzigen Menschen waren, die dort jemals Snowboard gefahren sind. Wir waren angefixt. Darum waren wir gekommen. Das eigentliche Highlight konnte beginnen.

Am nächsten Morgen wurden wir von einem wolkenlosen Himmel geweckt. Mehr als nur eine Rarität für diesen Fleck der Erde. Schnell wich Überraschung der Vorfreude. Hektisch wurden Splitboards montiert, Rucksäcke gepackt und die Autos beladen. Der Rundfjellet stand auf dem Programm. Höhe: 705 Meter. Startpunkt: 0 Meter. Genug Zeit, um uns erst daran zu faszinieren, dass wir die Tour auf Meeresniveau begannen, und später mehrere Runs zu fahren und verschiedene Cliffs zu springen. Um 9 Uhr hatten wir die Wohnung verlassen. Um 24 Uhr waren wir zurück. 15 Stunden Snowboarden. 15 Stunden Entdecken. 15 Stunden Erlebnisse. Niemand konnte im Vorfeld erahnen, womit wir hier konfrontiert werden würden. Das Gefühl scheinbar auf dem Gipfel der Welt zu stehen, während man in allen Richtungen vom Meer umringt ist, ist eine Seite. Das Terrain, das trotz seines extremen Charakters unendlich viele verspielte Features bietet, die andere. Zusammen mit Fotograf und Filmer brachen wir ein weiteres Mal zum Gipfel auf, um von dort den Sonnenuntergang verfolgen zu können. Elias, Nils und Markus verabschiedeten sich unterdessen für ein paar letzte Turns im pinken, arktischen Licht. Das Bild von den drei Typen, die in den letzten Sonnenstrahlen des Tages mit weiten Turns durch das faszinierende Gelände cruisen, werde ich ein Leben lang nicht vergessen. Für mich: Schönheit in Perfektion. 

Markus Keller
Markus Rohrbacher
Lofoten

Die nächsten Tage liefen nach genau diesem Muster ab. 20 Stunden wurden Gipfel für Gipfel abgefahren, bis wir kurz vor Mitternacht auf dem höchsten Punkt endeten, um von dort den Sonnenuntergang zu genießen. Selbst acht Tage später hatten wir uns noch lange nicht sattgesehen. Dennoch war es an der Zeit, die Heimreise anzutreten.

In Tromsø bestiegen wir die Hurtigruten, eine Fährlinie, die seit über 100 Jahren operiert und jahrzehntelang als einzige Verbindung zwischen Norden und Süden diente. Fjord um Fjord, Gipfel um Gipfel und Bier um Bier ging es zurück nach Bergen, westlich von Oslo. Die dreitägige Fährfahrt zurück in die Zivilisation war der krönende Abschluss eines perfekten Trips. Viel Zeit, um die hinter uns liegenden Erlebnisse ein letztes Mal ins Gedächtnis zu rufen.

Nils Arvidsson
Markus Rohrbacher
Lofoten

Wir kamen in den Genuss der schönsten Sonnenuntergänge weit und breit. Haben Gipfel erklommen und sind von dort zurück bis ans Meer gefahren. Meist mehrmals pro Tag. Haben Rentiere gesehen. Haben Methods im kitschigen Licht des Polarkreises gemacht und sind im arktischen Meer surfen gewesen. „A trip of a lifetime“ wird gerne überstrapaziert, ich weiß. Belassen wir es dabei: Wir kommen wieder. Spätestens nächstes Jahr, wenn es für den Nitro-Film nach Spitzbergen geht. Den Umweg über die Lofoten werden wir uns dann nicht nehmen lassen.

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