Mat Schaer - Qualität vor Quantität

Interview
Michi Lehmann
Silvano Zeiter
Erschienen in
Powder Special 2017
Stefan Götschl

Mat Schaer - Qualität vor Quantität

Eine langfristig erfolgreiche Karriere als Snowboardprofi hängt von vielen Faktoren ab. Die meisten davon kann ein Fahrer beeinflussen, andere wiederum nicht. „Wichtig ist, dass man deinen Namen in den USA kennt“ sagt der aus der französischsprachigen Schweiz stammende Mat Schaer. Seine Karriere entwickelte sich innerhalb nur eines Winters. Damals beendete er die Schule, heuerte bei Absinthe an und filmte eine Woche lang mit Gigi Rüf. Danach hatte er so viel Coverage, dass er auch über den großen Teich hinaus bekannt war. Heute zählen seine Backcountry-Parts zu den besten aus Europa und trotzdem steht er diesen Winter erst mal ohne Sponsor da. Warum das so ist, erklärt er im Interview.

 

Mit Fotos von Silvano Zeiter

 

Mat, schlechte Nachrichten zuerst. Dein langjähriger Sponsor DC hat deinen Vertrag nicht verlängert. Wieso?
Budgeteinsparung! Nach acht Jahren haben sie die Zusammenarbeit beendet. Aber nicht nur im Snowboarden wird gespart, auch in den anderen Sportarten wurden die Global-Teams verkleinert.

Was muss man als Pro leisten, um solche Budget-Cuts zu überstehen?
Das hat sich in den letzten acht Jahren, seit ich meinen ersten Profivertrag unterschrieben habe, schwer verändert. Damals war es entweder wichtig, bei den großen Contests der TTR im Finale zu stehen, oder aber einen Videopart in internationalen Produktionen abzuliefern. Und das war es eigentlich auch schon. Man hat sich auf eines dieser beiden Ziele konzentriert und wenn man das gut gemacht hat, haben sich die Sponsoren um deine Vermarktung gekümmert. Mittlerweile hängt der Wert eines Pros zu 50 Prozent von der Selbstvermarktung in den sozialen Netzwerken ab.

Mathieu Schaer
Silvano Zeiter

Und dort wird Authentizität verkauft?
Ja klar (lacht). Wenn man etwas ausschließlich aus der Motivation heraus macht, es anschließend auf Instagram zu posten, anstatt aus eigener Überzeugung, ist das eher Abverkauf und schlichtweg Fake. Authentizität sieht anders aus. Ständig danach zu handeln, Content für soziale Netzwerke zu produzieren, zerstört den Blick für das Wesentliche. In diesem Fall Snowboarden. 

Bleibt die Wertschätzung auf der Strecke?
Mit Sicherheit. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen und das ist auch gar nicht nötig. Aber früher musste ich ein Jahr lang warten, bis ich in meinem Local-Shop gehen konnte, um mir dort das neueste Video zu kaufen, das ich dann hundertmal angeschaut habe und so selbst zu einem Teil des Filmes wurde. Mittlerweile ist das Gegenteil der Fall. Die Leute konsumieren ununterbrochen. Wenn ein Video zu lange dauert, schauen sie es nicht mal zu Ende. Es wartet ja bereits das nächste. Da müssen wir einfach wieder sensibler werden. Mit Magazinen wie Pleasure ist das nix anderes. Für die Leute ist es bequemer, sich durch dutzende Insta-Feeds zu scrollen, anstatt ein ganzes Interview zu lesen.

In einem Insta-Feed kann man aber keine komplexen Botschaften transportieren.
Je weniger komplex die Botschaft, desto besser funktioniert sie. Die ursprüngliche Geschichte hat ihren Zweck verloren. Man versucht einen entscheidenden Moment zu kreieren, der die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf den ersten Blick „catcht“. Quantität vor Qualität. Das ist die Evolution unseres sozialen Verhaltens.

Verkaufen auf Teufel komm' raus?
Naja, wir als Profis bekommen Produkte und Travelbudget gestellt, um zu bestmöglichen Konditionen Snowboarden gehen zu können. Die Sponsoren wiederum beziehen sich dann auf unsere Performance am Berg und unseren Lifestyle als Snowboarder. Damit vermitteln sie die Glaubwürdigkeit ihrer Produkte. Solange das nicht verfälscht wird, ist alles okay. Wenn du als Profi natürlich zu Dingen gezwungen bist, die nicht deiner Natur entsprechen, oder andersrum du anfängst, dir Energydrink-Logos auf die Mütze zu nähen, ohne dass du hinter dem Produkt stehst, hat das mit Glaubwürdigkeit nichts mehr zu tun.

Hat man als Fahrer denn wirklich eine Wahl?
Manchmal ist das eine schwierige Entscheidung. Aber es sollte darum gehen, gemeinsame Interessen zu vertreten. Wenn du dich zum Beispiel für die Umwelt einsetzen willst, solltest du auch Sponsoren an deiner Seite haben, die offen über solche Dinge sprechen und gewisse Werte vorleben.

Ein schmaler Grat, als Snowboarder.
Sicherlich. Wir bauen alle auf gute Schneeverhältnisse und beten jedes Jahr für einen guten Winter, während die ganze Geschichte durch den Klimawandel bedroht ist. Wintersport fördert den Umweltschutz mit Sicherheit nicht, das ist klar. Aber gerade wenn man einen Großteil seiner Zeit in den Bergen und in der Natur verbringt, sollte man sich auch für sie einsetzen. Es gibt Möglichkeiten, Wintersport zumindest ökologischer auszuüben. Viele Pros filmen ihre Videoparts ausschließlich zuhause, anstatt dem Winter im Flugzeug hinterherzujagen. Manch einer entscheidet sich dafür, den Berg zu Fuß zu erklimmen, anstatt den Heli zu nehmen.

Mathieu Schaer
Silvano Zeiter

Aber nicht jeder ist dafür geeignet, mit dem Splitboard loszuziehen.
Ich rede hier von Pros. Aber das stimmt natürlich. Auch wenn man in Alaska unterwegs ist, sollte man schon Erfahrung haben, wenn man ein Face zu Fuß erobern will. Es geht mir auch nicht darum, dass jeder diesen Weg wählen muss, aber zumindest sollte man sich einmal damit auseinandersetzen. In den Alpen ist es überhaupt kein Problem zu Hiken oder mit dem Splitboard loszuziehen. Manch einer könnte sich dadurch sogar das teure Fitnessstudio sparen (lacht). Ich persönlich muss nicht um den halben Erdball fliegen. Ich habe in den letzten Jahren bei uns zuhause immer Spots mit guten Bedingungen gefunden und konnte meine Videoparts dadurch daheim filmen.  

Du hast gerade erst dein Studium der Umweltwissenschaften beendet. Merkt man irgendwie gar nicht.
(Lacht) Ich habe sogar um zwei Jahre verlängert, weil ich gleich noch einen Master mache. Aber sicherlich hat sich mein Studium auf mein Verhalten und meine Denkweise in Sachen Snowboarden ausgewirkt, falls du darauf anspielst. Ich will auf jeden Fall versuchen mich zu spezialisieren, um meine Leidenschaft für die Berge mit meinem späteren Beruf zu verbinden.

Was ist das Wichtigste, das du während deines Studiums gelernt hast?
Dass ich vom „richtigen“ Leben sehr wenig Ahnung habe (lacht).

Und was hat dich Snowboarden gelehrt?
Hmm, vielleicht meinen Instinkten und Gefühlen zu folgen.

Mathieu Schaer
Silvano Zeiter

Du kommst aus der französischsprachigen Schweiz. Franzosen hatten es nicht immer einfach, den internationalen Durchbruch zu schaffen. In den letzten Jahren hat sich das mit Fahrern wie De le Rue, Daviet, Longo geändert. Stimmt das?
Ich denke es spielt nicht wirklich eine Rolle, woher man kommt. Wichtig ist es, in den Staaten bekannt zu sein. Vielleicht hat man in der Vergangenheit weniger von den Franzosen gehört, weil Freeskiing so ein großes Ding bei ihnen geworden ist. Aber im Snowboarden ist es schon immer so gewesen, das gute Fahrer Generationsweise den Durchbruch geschafft haben. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Motivation etwas zu schaffen größer ist, wenn man in einer Gruppe unterwegs ist.

Du hast letzten Winter sowohl für Absinthe gefilmt, als auch für Union. Stress?
Ich war ziemlich beschäftigt, obwohl ich wegen des Abschlusses an der Uni mehr Zeit hatte, als die Jahre zuvor. Trotzdem habe ich nur sechs Wochen gebraucht, um meine Parts zu filmen.

Und wie sieht der kommende Winter aus?
Naja, da sind noch einige Faktoren, die es zu klären gibt. Vor allem die Sponsorenfrage. Generell will ich versuchen, mehr natürliche Features zu fahren. Also weg von den klassischen Cheesewedge-Kickern. Das ist mir im letzten Jahr schon ganz gut gelungen, aber ich will noch mehr in diese Richtung arbeiten. Mehrere Hits nacheinander zu filmen, wie eine Art „Slopestyle Backcountry“, fände ich auch gut, weil man dadurch automatisch mehr zum Snowboarden kommt. Da ist sicherlich noch Platz für Progression. Ich hab' jetzt mit meinem Masterstudium zwei weitere Jahre, in denen ich so viel möglich auf dem Brett stehen will. Danach muss man sehen, was passiert. Ich bin jedenfalls motiviert und für alles bereit.

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Dieser Artikel erschien original im Pleasure Powder Special 2017. Habt ihr nicht? Skandal. Am besten direkt hier bestellen. Oder noch besser: Prämie absahnen, Geld sparen, nie mehr eine Ausgabe verpassen und Abo abschließen.