The Art of Pipe - Christian Haller

Interview
Christian Öfner
Dominic Zimmermann
Corvatsch
Erschienen in
Pleasure 119
Stefan Götschl

The Art of Pipe - Christian Haller

Die Halfpipe als Königsdisziplin. Wenngleich bei der Allgemeinheit oft in Vergessenheit geraten, bleibt Halfpipefahren mitunter das Technischste, was Snowboarden zu bieten hat. Roboterhaftes Contest-Riding, immer wiederkehrende Frontside 12 Tailgrabs und Back to Back Double Corks sind nur die Fassade von etwas, das in seiner Einfachheit am meisten zu überzeugen versteht. Christian Hitsch Haller hat sich Ende letzter Saison Zeit genommen, um die Halfpipe wieder mal in ihrem traditionellen Gewand zu zeigen: roh, majestätisch und schön. Wir haben uns mit dem Schweizer Burton-Teamfahrer über den Shoot, die Bedeutung von Judging sowie Kreativität und – natürlich – über Halfpiperiding unterhalten.

Wann und wo hast du zum ersten Mal eine Halfpipe gesehen?

Nette Anekdote: Ich bin mit meinen Eltern als Kind von Davos erst nach St. Gallen und dann ins Engadin gezogen. Dort stand ich zum ersten Mal vor einer Pipe. Genauer gesagt: in Corvatsch, wo letzten Frühling auch die Shots für diesen Artikel entstanden sind. Auch wenn das bei meinem ersten Besuch – ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein – nicht viel von einer Halfpipe hatte. Eher ... zwei Schnee-Banks, die irgendwie zusammengeschoben wurden. Die erste richtige, mit Pipe Dragon geshapte Halfpipe habe ich dann ein paar Jahre später in Davos zu Gesicht bekommen.

Liebe auf den ersten Blick?

Schon ein bisschen. Ich war auf jeden Fall sofort fasziniert. Was bestimmt auch daran lag, dass die Halfpipe damals noch mehr als Königsdisziplin galt und man in der Schweiz immer schon viele gute Pipefahrer gefunden hat.
Dazu kommt, dass ich – nachdem ich in Davos geboren bin – auch einen persönlichen Bezug dazu hatte. Und den zur Bolgen-Pipe in Davos auch immer noch habe.

Du bist gerade mal 25 Jahre alt und trotzdem schon seit gefühlt immer mit dabei. Erinnerst du dich daran, wann du erstmals im Mittelpunkt gestanden bist?

Das kommt vor allem darauf an, nach welcher Größenordnung man das definiert. Ob ich das überhaupt jemals war? (lacht) Wahrscheinlich, als ich mit 14 Jahren für das zweite Mellow Mood Video filmen konnte und mir Humbi Entress den ersten Part gegeben hat. Das war eine wirklich große Nummer damals. Ich erinnere mich noch, wie ich als kleiner Knirps auf der Premiere stand. Das war wohl das erste Zeichen, dass Snowboarden mehr sein könnte.

Welche Rolle haben Contests damals für dich gespielt?

Ich bin damals einfach Snowboard gefahren. Egal, ob das hieß, mit Mu oder Mä (Stephan Maurer oder Markus Keller; Anm. d. Red.) zu filmen, oder an Contests teilzunehmen.

Wikipedia behauptet, dass du deinen ersten Contest, ein FIS-Pipe-Contest in Davos, auch gleich gewinnen konntest. Nun weiß Wikipedia aber längst nicht alles. Kläre uns auf!

Jein. Ich habe auch davor schon an Contests teilgenommen, nur waren die halt noch kleiner. Regio Cups hießen die damals. Der Pipe-Event in Davos war die erste „größere“ Nummer. Auch wenn sie nicht wirklich groß war.

Zwölf Jahre sind seitdem vergangen. Welche Veranstaltung ist dir in Erinnerung geblieben?

Da gibt es einige. Auf jeden Fall der Junior Jam der Burton European Open 2006 in Livigno, weil der Sieg dort der Kickstart für alles war. Dann natürlich Events, auf denen man gut abgeschnitten hat, wie X Games Europe oder O’Neill Evolution 2011. Aber ich werde auch die US Open vom letzten Jahr nicht vergessen, als ich meinen Traum-Run hatte und dann hau’ ich mich am letzten Hit so dermaßen auf die Fresse. So etwas vergisst man ebenfalls nicht schnell. Ohne das jetzt zu negativ zu meinen.

Welchen Titel würdest du als deinen größten Erfolg verbuchen?

Bezieht man sich klassisch auf Siege: dann bestimmt der Evolution in Davos. In „meiner“ Pipe, in der ich so viele Tricks gelernt habe, Jahre später einen großen Contest zu gewinnen, war eine super Erfahrung. Trotzdem. Es ist nicht so, als wäre die Welt perfekt, nur wenn man den Contest gewonnen hat. Ich bin ehrgeizig und will gewinnen, keine Frage. Denke ich allerdings an die letzten Jahre zurück, stehen andere Emotionen im Vordergrund. Das Gefühl „Geil, ich habe den Contest gewonnen“ ist in dem Moment super ... aber der Sieg ist sehr vergänglich. Zumindest für mich.

Trotz einiger Zwischenabstecher ins Filmwesen für unter anderen Mellow Mood und Isenseven hast du dich immer eher über Contests und Halfpiperiding ausgezeichnet.

Contest- und Halfpipefahren hat mir vieles ermöglicht. Widme ich mich jetzt mehr dem Filmen, so profitiere ich von diesen Erfahrungen. Man lernt in der Halfpipe, mit sich selbst zu arbeiten. Ich wollte Halfpipefahren perfektionieren, um mich dann zu steigern ... Durchläuft eine Karriere unterschiedliche Abschnitte, ist das in meinen Augen vor allem interessant. Ich weiß nicht, ob Filmen für mich so eine Herausforderung wäre, wenn ich es schon seit zehn Jahren machen würde. Außerdem – ich fahre sehr gerne Halfpipe und bin ein ehrgeiziger Typ, der es genießt, eine Sache sehr intensiv zu machen und diese zu perfektionieren. Und da bist du mit Halfpipefahren sehr gut bedient. Die Transition, die perfekte Line, der perfekte Straight Air – all diese Dinge zu verinnerlichen, dauert ewig. Aber es fasziniert mich, lange an etwas zu arbeiten und den Erfolg zu sehen.

Setzt sich ein Kid heute in den Kopf, Olympia-Gold in der Pipe holen zu wollen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als nur noch Pipe zu fahren. Das ganze System ist darauf ausgelegt.

Halfpipe-Snowboarden birgt viel unterschiedliches Potenzial. Trotzdem wurde daraus in den letzten Jahren eine Contest-Disziplin, die außerhalb von Startnummern und Bannern kaum noch wahrgenommen wird.

Halfpipefahren ist so technisch und verlangt nach so viel Übung, dass es fast schon ein wenig unmenschlich geworden ist. Dazu kommt, dass sich Snowboarden seit vier oder fünf Jahren ganz extrem in unterschiedliche Disziplinen entwickelt. Die Backcountry-Dudes, die Rail-Jibbers, die Contest-Typen ... Pipefahren wurde dabei ein wenig zur Athletendisziplin, weil es mit so viel Training und Zeitaufwand verbunden ist. Setzt sich ein Kid heute in den Kopf, Olympia-Gold in der Pipe holen zu wollen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als nur noch Pipe zu fahren. Das ganze System ist darauf ausgelegt. Schlussendlich geht es aber immer noch darum, was du selbst daraus machst. Man kann kreativ fahren und Dinge anders machen ... aber es macht halt kaum jemand. Die Ziele haben sich in den letzten Jahren verschoben. Viele junge Fahrer zielen nicht länger darauf ab, sich von der Masse abzuheben und möglichst speziell zu sein, sondern sagen ganz klar: „Ich will der Beste sein.“

Ich finde, dass Halfpipe-Contests in diesem Jahr wieder viel interessanter geworden sind. Die Leute lassen sich endlich wieder gehen.

Ist diese Einstellung ein Grund, warum Contests zurzeit nicht den besten Ruf haben?

Ich möchte den Nachwuchs nicht verurteilen. Überhaupt nicht. Aber klar hat das einen Einfluss darauf. Trotzdem, ich finde, dass Halfpipe-Contests in diesem Jahr wieder viel interessanter geworden sind. Die Leute lassen sich endlich wieder gehen, bauen Alley Oops und Air to Fakies ein ... ohne, dass ich weiß, wem das zuzuschreiben ist.
Wir Fahrer haben es im Moment mit einer ziemlich gespaltenen Szene zu tun. Zum einen beschweren sich viele über Contests ... zum anderen finden es Firmen trotzdem toll, wenn du bei den Olympischen Spielen mega gut bist, und geben dem das meiste Geld, der dort gewinnt.

Was hat sich in der Contest-Welt seit deinem ersten Auftritt verändert?

Wenn ich zurückdenke, hatte Snowboarden einen rebellischen Charakter. Anders zu sein, war am wichtigsten. Ich habe diese Zeit noch erlebt und vor allem in den Movies gesehen. Heute spürt man das kaum noch ... alles wurde etwas normaler.

Muss man heute noch Rebell sein?

Man muss nicht, aber man kann. Ich meine auch nicht Rebell im negativen Sinne von irgendwas kaputtschlagen und „böse“ sein, sondern Dinge anders zu machen.

Früher war alles besser. Behauptet zumindest jeder. Oder haben wir einfach vergessen, welchen Stellenwert Contests früher schon hatten? Ohne gute Resultate als Grundstein ihrer Karrieren wüsste heute wohl niemand, wer Terje Håkonsen oder Craig Kelly ist.

Das ist kein Snowboardproblem. Früher war es mehr Rock’n’Roll, früher war es nicht so schwierig, früher war es bla, bla, bla. Snowboarden hat es allerdings versäumt, seine Legenden ausreichend zu honorieren. Craig Kelly ist eines meiner großen Vorbilder – und obwohl er einen hervorragenden Ruf genießt, habe ich das Gefühl, als würde dieser Status Jahr für Jahr schrumpfen. Kennt man die alten Geschichten und Heros nicht, kennt man auch die Wurzeln des Sports nicht ... was wiederum schnell zu voreiligen Aussagen führt, dass früher alles besser war.

Elijah Teter hat schon vor vier Jahren die härtesten Backside 7s, Switch Methods, Switch Alley Oop McTwists und alles gemacht ... und dafür eben keine Punkte bekommen.

Alle beschweren sich, dass man auf Contests immer die gleichen Tricks machen muss, um gut abschneiden zu können. Allerdings hat auch kaum jemand mal versucht, aus dem System auszubrechen. Warum hast du die Tricks aus diesem Artikel nicht auch auf Contests gezeigt?

Ich habe versucht, einzelne Tricks zu übernehmen ... aber nie in der Kombination. Es ist schwierig im Moment. Halfpipefahren und Judging haben einen Punkt erreicht, an dem es jedes Mal anders ist. Ohne irgendwelche Stringenz. Nehmen wir Danny Davis. Sein Run bei den X Games ist großartig. Aber – Elijah Teter hat schon vor vier Jahren die härtesten Backside 7s, Switch Methods, Switch Alley Oop McTwists und alles gemacht ... und dafür eben keine Punkte bekommen. Klar kann man das nicht vergleichen und es soll auch keine Ausrede für mich sein, aber unterm Strich geht es ums Gewinnen und wir als Fahrer wissen nicht, was man dafür von uns sehen will. Auch der Pipe-Contest der Dew Tour im Dezember war ein gutes Beispiel, wie man es nicht machen sollte: Da wurden mal Kreativität, mal Höhe und harte Tricks belohnt ... und dann wieder andersrum. Aber um auf deine Frage zurückzukommen. Ich bereue es tatsächlich ein wenig, dass ich nicht auf mehr Kreativität gesetzt habe ... und ... ich meine ... ja, ich hätte es vielleicht einfach machen sollen.

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Was du dann in Corvatsch nachgeholt hast. Wie entstand die Idee für „Memoires, Memoires“?
Willst du an Olympia teilnehmen, muss dir bewusst sein, dass dich das drei bis vier Jahre kostet, um den Quotenplatz rauszufahren, zu üben, im Verbandsystem integriert zu sein, etc. Das ist alles gut und recht, aber ich habe Halfpipefahren in den letzten zwei Jahren fast nur auf Contests wahrgenommen. Inklusive Bannering, zwei Runs, von denen der bessere zählt, Startlisten, ... ich mag dieses Umfeld, aber ich fahre Snowboard für mich und nicht für irgendwelche Leute. Im Mittelpunkt stand der Drang, Pipefahren in einem puren Bild zu zeigen. Die Halfpipe ... und nichts anderes. Und genug Zeit mitbringen, damit es auch gut wird.

Ich wollte das Schöne am Halfpipefahren zeigen. Weg vom Hektischen, von der Show, vom Oberflächlichen.

Was war dir wichtig für den Clip?

Ich wollte das Schöne am Halfpipefahren zeigen. Weg vom Hektischen, von der Show, vom Oberflächlichen. Olympia ist nicht ganz nach Wunsch verlaufen, aber ich wollte mir selbst etwas zeigen. Ich bin in der Lage, mich auf höchstem Niveau ... oder zumindest auf sehr hohem Niveau in einer Halfpipe zu bewegen. Diesen Moment wollte ich festhalten.

Gibt es einen „Lieblings-Shot“ in dem Edit?

Auch wenn ich selbst natürlich nicht hinter der Kamera stand, interessiere ich mich für das Thema und hatte großen Einfluss auf den Look. Ich hatte ein ganz genaues Bild vor Augen, wie ich die Einfachheit von Pipefahren festhalten wollte. Mir ging es dabei immer um die Grundprinzipien. Dass man schon für die vermeintlich einfachen Dinge verdammt viel Boardkontrolle braucht. Insofern lagen mir die Carves besonders am Herzen ... um die Power, den Elan und den Speed darstellen zu können. Halfpipe ist mehr als die atemberaubende Stuntshow der X Games. Mit den Shots wollte ich den Leuten zeigen, dass Pipe auch nach Spaß aussehen kann.

Und sie so weg von den Butterboxen bringen und ihnen die Superpipe schmackhaft machen?

Wegen des Clips sind viele Leute auf mich zugekommen und haben mir gesagt, dass ihnen der Edit gefallen hat und sie jetzt auch unbedingt wieder Pipe fahren wollen. Das ist schon cool, wenn du das hörst, und es erfüllt dich mit Stolz. Vor allem, weil es so sein sollte – Halfpipes sollten nicht abschreckend wirken. Ich mag es nicht, wenn Leute sagen: „Hey, die Walls sind zu hoch, das geht nicht ...“ Es geht schon! Man muss es nur wollen. Jeder kann die Pipe auch einfach nur surfen und schon das ist ein saucooles Gefühl.