Interview: Terje Håkonsen

Interview
Christian Öfner
Erschienen in
Pleasure 121
Stefan Götschl

Interview: Terje Håkonsen

Es gibt kaum einen Fahrer, dessen Legendenstatus höher anzusetzen ist, als der eines Terje Håkonsen. In seiner mittlerweile 26 Jahre langen Profikarriere hat der Norweger wohl mehr Snowboarder und wohlgleich auch die gesamte Szene beeinflusst, wie kaum ein anderer. Dabei hat er sich nie den Mund verbieten lassen und tut das auch heute – mit seinen 41 Jahren – nicht.

Wir haben die Legende getroffen und ein Schwätzchen gehalten.

Neulich bin ich über ein Zitat von dir gestolpert, in dem du sagst: „Snowboarding is my hobby. I am actually a football player." Wie passt das zusammen? Teamsport gegen Einzelsport. Sport gegen Lifestyle. Nische gegen Masse.

Fußball ist weniger „typisch Sport“, als man vermuten würde. Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten stehen die Leistung und der klassische Wettkampf nicht unbedingt im Vordergrund. Fußball kann man auch ohne Organisation spielen. Jeder kann es machen, am Strand, fünf gegen fünf mit Freunden ... Kaum jemand aus meinem Umfeld spielt in einem richtigen Team. Insofern gibt es Parallelen zu Actionsport. Allerdings bleibt Fußball im Gegensatz zu Snowboarden ein Teamsport ... und damit auf eine gewisse Art und Weise auch sozialer. Wenn man gewinnt, gewinnt man zusammen. Wenn man verliert, verliert man zusammen.

Während es im Fußball ganz normal ist, der Beste sein zu wollen, ist dieselbe Aussage im Snowboarden verpönt.

Wie oft hört man: „Ich bin einfach nur froh, hier zu sein.“ Bullshit! Das stimmt einfach nicht. Jeder will gewinnen. Niemand will Zweiter werden. Wenn das von jemandem kommt, der zum ersten Mal ein Finale erreicht hat und weiß, dass ihm das Zeug zum Sieg fehlt ... fair enough. Aber bei den Top-Leuten ... pff.

Warum ist das so?

Ich weiß es nicht. Weil es sich so gehört? Weil niemand Emotionen zeigen will, wenn er verliert?

Wolltest du immer gewinnen?

Natürlich. Jedes Mal. Bis heute. Außer ich spiele mit meinen Kids, dann kann ich mich manchmal zurückhalten. Allerdings weiß ich mittlerweile, dass es ok ist, auch mal nicht Erster zu sein. Früher konnte ich damit nicht umgehen und war ein schlechter Verlierer. Man gewöhnt sich daran, nicht immer zu gewinnen, und regt sich weniger und weniger auf. Ein natürlicher Prozess.

Terje Håkonsen
Gabe L'Heureux
Laax

Muss man unbedingt gewinnen wollen, um ganz nach oben zu kommen?

Niemand spielt Lotto, ohne gewinnen zu wollen. Nicht jeder Sieg hatte die gleiche Bedeutung, dennoch war ich immer lieber Erster als Zweiter. Auf der anderen Seite habe ich Contests gewonnen, die ich nicht hätte gewinnen sollen. Danach fühlt man sich mindestens gleich blöd ...

Ein Judge fragt dich nach einem fairen Score für deinen Run. Bist du ehrlich?

Ich denke, dass ich ziemlich ehrlich wäre. Das heißt aber nicht, dass wir gleicher Meinung sein müssen.

Weil eine zu 100 Prozent faire Wertung illusorisch für Snowboarden ist?

Ich habe mich ein Mal als Judge versucht ... und es gehasst. Der schlimmste Job der Welt. Undankbar, schwierig und es macht keinen Spaß. Man kann allerdings Instrumente verwenden, um eine Wertung durchsichtiger zu machen, indem zum Beispiel die Höhe zu einem bestimmten Anteil in den Score einfließt. Sofern man nicht gegen die Uhr fährt, wird Snowboarden dennoch immer subjektiv blieben und Menschen werden auch in Zukunft Fehler machen.

Seit 20 Jahren gibst du Interviews. Findest du noch Gefallen daran?

Das hängt davon ab. Nicht jedes Interview macht Spaß. Aber oft sind die Interviews, die weniger Spaß machen, auch die einfachsten ...

Was macht Spaß?

Gegenfrage: Muss es mir Spaß machen? Ein Interview kann alles sein ... vor allem sollte es interessant sein. Natürlich kommt es vor, dass man Fragen gestellt bekommt, die man schon mal beantwortet hat. Das kann man den Leuten dann aber auch ehrlich sagen.

Kaum wird etwas kontrovers diskutiert, wirst du gefragt. Vor allem ...

Alle vier Jahre?

Eben das. Seit du 1998 als Topfavorit die Olympischen Spiele boykottiert hast, bist du fester Bestandteil jeder öffentlichen Debatte. Hast du es dir ausgesucht, das ultimative Snowboard-Sprachrohr zu werden?

Ganz im Gegenteil. Ich wünschte, jemand anders würde auch etwas darüber verlieren und keine Angst davor haben, die Wahrheit zu sagen. Fahrer, Industrie und Medien – jeder hat eine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Geschichte von Snowboarden nicht falsch neuerzählt wird.

Haben die Olympischen Spiele Snowboarden zerstört?

Alle vier Jahre werde ich zum Thema IOC gefragt und konnte mir deshalb in den letzten 17 Jahren einiges an Fachwissen aneignen. Mittlerweile störe ich mich weniger an der Sportpolitik des IOC als an deren Grundsätzen. Die Olympischen Spiele sind eine gute Idee, nur die Umsetzung ist katastrophal. Menschenrechte, fragwürdige steuerliche Grundlage ... es fasziniert mich, wie das von jedem ignoriert werden kann.

Terje Håkonsen
Dean 'Blotto' Gray
Northstar

Geld regiert die Welt?

Ich war im Zuge der Bewerbung von Oslo zu einer Podiumsdiskussion geladen worden. Dieser eine Typ, ehemaliger Langläufer und Eigentümer einer Outerwear-Marke, der hat natürlich Interesse an der Veranstaltung, weil er mehr Klamotten verkaufen wird. Die Hoteliers erhoffen sich mehr Übernachtungen, die Bauunternehmen rechnen mit großen Aufträgen und die Fahrer wollen ihr Gesicht auf einer Cornflakes-Packung sehen. Finanziell hat jeder etwas davon ... und darum sind scheinbar alle gewillt, den Rest zu übersehen.

Viel Ideologie für eine kapitalistische Welt.

Das IOC kann auch erfolgreich sein, ohne hinter zugezogenen Vorhängen zu agieren. Zurzeit tragen die Veranstaltungsorte das ganze Risiko – der Gewinn geht allerdings ans IOC. Die Städte müssten in der Lage sein, die Veranstaltung selbstständig zu vermarkten, um so zum Beispiel anstatt ungesunder Milliardenkonzerne auch regionale Partner einbinden zu können.

Du bist in die Planung der X-Games Oslo involviert. Eine bessere Veranstaltung?

Der Event hat in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Ich war der größte Hater von allen. Aber sie haben daraus gelernt und sich gewandelt. Es wird viel Geld in eine gute Produktion gesteckt, Grafiken erklären Snowboarden für den Laien ... das ist sehr wichtig für Snowboarden. Es gibt wenige Events dieser Größenordnung, die Actionsports so gut und ehrlich transportieren. Außerdem ist der Contest mittlerweile relativ offen. Als einer der besten Fahrer der Welt wirst du auch eingeladen, egal ob Europäer, Asiate oder Amerikaner. Die X-Games sind nicht als Nationenveranstaltung konzipiert und unterschieden sich damit massiv von den Olympischen Spielen. Das IOC denkt in Ländern, weil man so am einfachsten an unterschiedliche Fernsehsender verkaufen kann. Jeder ist Teil einer Nation ... und muss darum zum Jubeln den Sport nicht kennen. Ich will die besten Fahrer sehen, nicht die tollsten Länder.

Ist Nationendenken immer schlecht?

Nicht unbedingt. Es ist nur nicht mein Ansatz. Oder der von Actionsports. Alle unsere Karrieren entstanden durch Sponsoren und Marken-Teams. Es gibt Leute in Norwegen, die nach Monaco oder Österreich gezogen sind, aber dennoch für Norwegen fahren: „Ich liebe mein Land so sehr, dass ich da nicht leben oder Steuern zahlen möchte. Aber die Fahne im Ziel schwenke ich gerne!“ Versteh’ ich nicht.

Bist du stolz darauf, Norweger zu sein?

Ich finde es gut, dort aufgewachsen zu sein. Das war ein Privileg. Und ich bin stolz auf viele Dinge, die Norwegen gemacht hat. Trotz aller Fehler – die es natürlich gibt – fühle ich mich sehr wohl hier. Dennoch würde ich niemandem zujubeln, nur weil er Norweger ist. Wenn ich einen Contest sehe, freu’ ich mich in erster Linie für meine Teamkollegen. Finnen, Schweizer, Kanadier ... Auch wenn ich verstehe, warum Sportfans so denken und sich damit assoziieren können – mich muss ein Fahrer mit seinem Riding überzeugen, nicht seiner Nationalität. 

Neben dem IOC hast du dir gesunde Ernährung zum Lieblingsthema gemacht.

Mein Vater war Koch, also kam ich auch schon früh mit gutem Essen in Kontakt. Qualität war meinem Vater wichtig. Daran hat sich bei mir bis heute wenig geändert. Ich ernähre mich gerne gesund, wobei das Reisen meinen Horizont erweitert hat. Essensgewohnheiten verraten viel über Land und Leute. Als ich mit 17 Pro wurde, war ich meist von älteren Leuten umgeben. Darunter auch viele Surfer. Einer von ihnen war Mike Steward, der damals gesagt hat: „Pass auf dich auf, iss gesund und du wirst jeden Sport so lange machen können, wie du willst.“ Er war der Älteste in der Runde, aber auch der Beste. Das ist hängengeblieben. Auch Craig Kelly hat mir viel beigebracht. Er muss der Erste gewesen sein, der mich in Health Food Stores geführt hat und mir die Bedeutung von nachhaltiger Ernährung für die Gesundheit verdeutlicht hat.

Terje Håkonsen
Dean 'Blotto' Gray
Neuseeland

Gesunde Ernährung für gesunde Menschen. Welche Rolle spielt eine intakte Umwelt?

Das eine führt zum anderen. Menschen fühlen sich in einer funktionierenden Umwelt wohl. Ich find’s verrückt, wie wenig das Thema in der Schule aufgegriffen wird. Gesundheit ist der elementare Gegenstand ... auch für die Volkswirtschaft.

Trinkst du noch Alkohol?

Ja. Man muss Regeln brechen, um sie zu definieren. Ich könnte problemlos darauf verzichten, aber freu’ mich über das eine oder andere Glas Wein. Es geht darum, glücklich zu sein, und Zwang ist nie glücklich.

[Sagt er und bestellt zwei Tequila. Es ist 13:30 Uhr und zumindest mein Magen gähnend leer. Prost; Anm. der ab jetzt betrunkenen Red.]

Alkohol hat den Menschen immer schon dazu gedient, einer Routine zu entkommen. Für viele Snowboarder übernimmt der Sport diese Rolle. Welche Bedeutung kommt Snowboarden heute noch in deinem Alltag zu?

Es gab eine Phase in meinem Leben, da war es ganz normal, vom Berg zu kommen und sofort wieder zu überlegen, welche Tricks man machen könnte. Snowboarden nahm damals den ganzen Tag ein. Das ist vorbei. Schon vor langer Zeit habe ich aufgehört, pausenlos an Snowboarden zu denken. Ich erfreu’ mich immer noch sehr daran, schau’ mir Videos an und zerbreche mir auch mal den Kopf über neue Tricks ... aber es gibt so viele andere Dinge. Meine Interessen sind mittlerweile zu breit gefächert, um nur Snowboarden im Kopf zu haben.

Es ist Ende September und in wenigen Tagen machen die Gletscher auf. Vorfreude?

Lass es mich so ausdrücken: Man wird zum Löwen.

Bitte was?

Man läuft nicht mehr allem nach, sondern kann auch mal darauf warten, bis es kommt. In meinem Fall ein Trip nach Kanada. Wahrscheinlich am 17. Dezember. Das ist aktuell der erste Plan. 

Und davor stehst du gar nicht mehr auf dem Snowboard?

Mein ältester Sohn ist 18. Seit ich Kinder habe, stehe ich wieder viel mehr auf dem Snowboard. Bestimmt auch vor Mitte Dezember. Aber ohne Kamera und Startnummer.

Die Ausgabe steht im Zeichen des Themas Influence. Welche Leute haben dich beeinflusst?

Das sind wahnsinnig viele. Craig Kelly, weil er ein guter Overall-Snowboarder war. Aber auch wegen seiner Einstellung zum Leben. Noah Salasnek wegen seines Styles, Damien Sanders, Jeff Brushie ... Dave Hatchett ab dann, als ich zum ersten Mal auf einem Freeride-Trip gewesen bin und erfahren durfte, wie viel härter das ist, als ich Punk das von den Videos vermutet hatte. Als ich angefangen habe, an großen Contests teilzunehmen, lieferten sich Craig Kelly und Shaun Palmer heftige Battles. Mal gewann Palmer, weil er die Höhe hatte, mal Kelly wegen der Technik. Brushie und ich, wir wollten beides. Mehr Tricks und mehr Höhe. Inspiration ist etwas Alltägliches. Jedes Mal, wenn man jemanden trifft oder eine gute Session hat, kann man davon etwas lernen und nimmt etwas fürs Leben mit. In welcher Weise auch immer.

Und fährt darum immer besser Snowboard?

Man braucht nach einer längeren Pause immer ein paar Tage, um sich wieder an das Board zu gewöhnen. Selbstvertrauen ist der Schlüssel zum Erfolg. Ob man besser wird, hängt von der Definition ab. Man kann immer noch gleich viel Energie in Turns stecken. Dass die Tricks dem Alter geschuldet etwas weniger akrobatisch werden, ist aber auch klar.

Terje Håkonsen
Gabe L'Heureux
Cervinia

Packst du dich dennoch auch noch mal auf die Fresse?

Oh ja. Und wie.

Wie wichtig ist Erfahrung für Snowboarden?

Sehr. Gar nicht mal nur in Bezug auf Brettgefühl. Wenn ich zum Beispiel nicht weiß, wie ich mich bei Kälte richtig kleide, werde ich auf dem Berg auch keinen Spaß haben und es nach dem ersten Versuch sein lassen.

Es hat lange gedauert, bis die Industrie den Mehrwert von älteren Fahrern verstanden hat. Hat „alt“ immer noch einen negativen Beigeschmack?

Portwein wird mit dem Alter auch besser (lacht). Warum sollte eine Marke jemanden ziehen lassen, in den so lange investiert wurde? Auf eine ältere Generation kommt allerdings eine andere Aufgabe zu.

Sind Karrieren wie deine heute noch möglich?

Ich würde sogar sagen, dass man es heute noch viel weiter bringen kann, weil Snowboarden größer geworden ist.

Allerdings wurde die Welt schnelllebiger. Heute gehypt, morgen schon vergessen.

Das hängt in erster Linie damit zusammen, wie ein junger Fahrer seine Karriere plant. Viele setzen nur auf Contests. Die Ablaufzeit dort ist verhältnismäßig kurz. Sobald du dann nichts mehr reißt, bist du raus. Meist für immer. Andere Fahrer haben erkannt, wie der Hase läuft, gehen die Geschichte strategischer an und setzen schon früh auf unterschiedliche Felder.

An wen denkst du da?

Unter anderem Ståle Sandbech oder Alek Østreng, die nicht nur sehr erfolgreich an Contests teilnehmen, sondern auch schon seit den Anfängen aufs Filmen setzen. Mark McMorris untermauert seine Contest-Titel seit zwei Jahren mit krassen Backcountry-Shots. Will man eine Karriere aufbauen, muss man sich verkaufen und zur Medienschlampe werden. Das kann man richtig und falsch machen. Wer es richtig macht, sich anpasst und bereit ist, auch mal Abstriche zu machen, wird erfolgreich bleiben.

Warst du jemals auf die aktuelle Generation neidisch?

Darüber mach’ ich mir keine Gedanken. Zwar hat man heute mehr Möglichkeiten und kann es auch ohne Contest-Ergebnisse nach oben schaffen, allerdings ist die Konkurrenz an extrem talentierten Snowboardern viel größer. Ob es früher einfacher war? Einige Dinge bestimmt. Trotzdem musste man auch damals schon etwas aus sich machen. Nur gut zu fahren, war damals schon nicht genug. Unzählige Talente blieben auf der Strecke, weil ihnen der Biss fehlte. Pro zu werden, ist auch eine Frage, ob man es unbedingt will!

Du hast vor wenigen Tagen eine Quarterpipe-Session in Schweden angekündigt. Immer noch schwebt die ominöse 10-Meter-Marke weit über dem Coping. Ist der Biss nach all den Jahren noch groß genug?

Ich werde alles daran setzen. Und wenn es mir nicht gelingt, werde ich alles daran setzen, damit jemand anders die Chance dazu hat. Alles Weitere sehen wir im April.