Das große Ganze: Protect Our Winters

Reportage
Stefan Götschl
PLSR-Online

Das große Ganze: Protect Our Winters

Seit 2007 gibt es die Non-Profit-Organisation "Protect our Winters" (POW). Gründer Jeremy Jones und rund 130.000 Unterstützer weltweit kämpfen gegen die Auswirkungen des Klimawandels. Doch was macht die Organisation genau, welche Leitlinien verfolgt sie und wie kann man POW unterstützen? Wir werfen einen Blick auf "Protect our Winters". 
 

"Unsere Winter haben sich schon jetzt stark verändert“, stellt Jeremy Jones nachdenklich fest. Seit dem Start der Temperaturaufzeichnungen im Jahr 1880 hat sich die Erde um 1,7 Grad erwärmt. Hört sich erstmal nicht dramatisch an. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Die Gletscher dieses Planeten schmelzen kontinuierlich. Unsere Ozeane steigen in einem beängstigendem Tempo. 2016 war das historisch heißeste Jahr - von den 17 heißesten Jahren, die bis dato aufgezeichnet wurden, sind 16 seit dem letzten Jahrtausendwechsel dokumentiert worden. Hauptverantwortlich für diesen Temperaturanstieg: Hitze, die laut einem Großteil der Wissenschaftler durch menschlich verursachte Emissionen entsteht – und schätzungsweise dem entspricht, was alternativ auch täglich 400.000 Explosionen einer Hiroshima-Atombombe auf unserem Planeten erledigen könnten. Die Scheiße ist nicht nur am dampfen, sie glüht mittlerweile. Höchste Zeit, einen Blick auf Jeremy Jones’ "Protect Our Winters"-Organisation zu werfen.

Jeremy Jones. Gründer der Non-Profit-Organisation "Protect our Winters"
Jeremy Jones
POW

Jeremy Jones ist ein extremer Typ. Geboren und aufgewachsen in Massachusetts, steht der 42-jährige seit 33 Jahren auf dem Snowboard. Wer mit ihm spricht, merkt schnell, dass er in den vergangenen drei Dekaden so einiges erlebt hat. Jeremy ist Pionier und Wegbereiter in Sachen Freeride-Snowboarden, Filmemacher, Firmenboss, Alpinist, Aktivist und seit 2007 auch Gründer der Non-Profit-Organisation "Protect Our Winters", kurz POW. "Die Idee dahinter ist simpel", sagt er uns im Interview. "Ich war schon in den entlegensten Winkeln der Welt und habe die Auswirkungen des Klimawandels über die Jahre erschreckend genau beobachten können. Kürzere und feuchtere Winter, verminderte Schneedecken, deutlich sichtbar kleinere Gletscher. All das konnte ich auch in meiner Heimat Lake Tahoe erleben. Herumhocken und nichts tun war irgendwann keine Option mehr."

Jeremys damaliger Plan: Eine Organisation unterstützen, die sich den offensichtlichen Auswirkungen des Klimawandels widmet. Optimalerweise mit Wurzeln in der Outdoorwelt. Das Problem: Eine derartige Organisation existierte nicht. Also wurde POW ins Leben gerufen – und erfreute sich dank Jeremys Ruf und Namen schnell über namhaften Zuwachs aus der Wintersportindustrie. Was anfangs als Grassroots-Bewegung entstand, ist mittlerweile eine weltweite Bewegung mit mehr als 130.000 Unterstützern. 

Über 80 Pros und zahlreiche Klimaforscher engagieren sich bei Protect our Winters

"Momentan haben wir fünf festangestellte Büromitarbeiter, die alle in Boulder, Colorado sitzen." Die "Rider’s Alliance" von Protect Our Winters umfasst heute über 80 der besten Wintersport-Pros, darunter Namen wie Nicolas Müller, Hana Beaman, Alex Yoder, Danny Davis, Marie-France Roy, Forrest Shearer oder Jamie Anderson. Jedoch beschränkt sich das Team nicht nur auf namhafte Pros. Mit der "Science Alliance" hat man sich auch die hauseigene Wissenschaftsabteilung an Bord geholt. "Unsere ´Science Alliance‘ versammelt einige der besten und intelligentesten Klimaforscher. Unser Team liefert hervorragende Arbeit ab, wir bieten ihnen die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse und Expertise weitläufig zu kommunizieren."

Seit 2007 hat sich POW als Vorzeige-Klimaadvokat der Outdoor-Szene etabliert. "Zu Beginn war unser Leitbild, die Wintersportgemeinde gegen den Klimawandel zu vereinen. Heute gestaltet sich unsere tägliche Arbeit wesentlich komplexer." Als "Champion of Change" wurde Jeremy Jones von einem gewissen Barack Obama geadelt, weshalb er 2013 das erste Mal Washington besuchte. Die Audienz im Weißen Haus war hart erarbeitet. "Ermöglicht wurde dies dank unserer beständigen Vorgehensweise und dem Fakt, dass wir eine milliardenschwere Industrie im Rücken haben. Mal ganz abgesehen von den 200 Millionen Outdoor-Fans, die sich auf diesem Planeten herumtreiben." Heute besuchen Jeremy und seine Kollegen das Weiße Haus und den amerikanischen Kongress jährlich. 

POW inzwischen in sechs Europäischen Ländern vertreten

Zu verdanken haben sie dies vor allem jenem Bericht, den Jeremy während seines ersten Besuchs in Washington vorlegte: "Dieser Bericht war ein Game-Changer für uns. Er verpasste dem Winter ein Preisschild und zeigte, wie viel Geld und Arbeitsstellen in Gefahr sind, wenn es in Zukunft keine Wintersaison mehr gibt." Politisches Engagement ist für POW zum Alltag geworden. Dennoch ist es nur ein Fokus der Organisation. Bildung und Wissensvermittlung ist und bleibt die Hauptpriorität. "Bisher konnten wir über 60.000 Studenten mit unserem Programm erreichen", erzählt Jeremy weiter. "Wir müssen die Jugend kompetent informieren und sie auf die Zukunft vorbereiten. Immerhin sind sie es, die als nächste Generation den Umweltschutz vorantreiben müssen. Ich bin sehr stolz auf dieses Programm und die Tatsache, dass wir mit POW mittlerweile auch in sechs europäischen Ländern vertreten sind."

Frankreich, Finnland, Norwegen, Schweden, Österreich, Deutschland. POWs europäische Expansion ist seit einigen Jahren am laufen. "Momentan versuchen wir, die einzelnen europäischen Länder unter einem großen POW-Europe-Mantel zu vereinen. Sozusagen als Ergänzung zu den Jungs und Mädels in den USA", sagt Daniela Hochmuth, die selbst im März 2015 POW Austria ins Leben rief. Daniela ist leidenschaftliche Snowboarderin, war in den letzten Jahren Teil der Freeride World Tour und fährt unter anderem für Jones, Now oder Pyua. In das Projekt floß in den letzten beiden Jahren viel Energie und Arbeit. Die Fortschritte sind jedoch unübersehbar. Stand heute sind 16 ehrenamtliche Mitarbeiter bei POW Austria involviert, seit Kurzem gibt es ein eigenes Headquarter in Innsbruck und immer mehr Fahrer interessieren sich für die Sache. "Wer bei uns mitmachen möchte, muss vor allem Folgendes mitbringen: Motivation; den Willen, das Problem zu sehen, und bereit sein, den ersten Schritt zu gehen." Den ersten Schritt gehen? Hört sich dramatischer an, als es eigentlich ist: "Grundsätzlich heißt das nicht mehr, als die Bereitschaft zu zeigen, sein Leben etwas nachhaltiger zu gestalten."

Daniela Hochmuth, Gründerin von Protect our Winters Austria in Chamonix.
Daniela Hochmuth
Johanna Julia Lehtinen
Chamonix
Daniela Hochmuth, Gründerin von Protect our Winters Austria.
Daniela Hochmuth
Lisa Günther
POW Seven: Die 7 Leitlinien von Protect our Winters

"Niemand erwartet von einem Pro-Snowboarder, dass er nie mehr in ein Flugzeug steigt. Unsere POW Seven zeigen aber, was der Einzelne beitragen kann", sagt Daniela. Unter dem Begriff "POW Seven" wurden die sieben Leitlinien von Protect Our Winters zusammengefasst. Darunter finden sich Punkte wie "Engagiere dich politisch" oder "Ändere deine Gewohnheiten". Besonders Letzteres veranschaulicht die Firmenphilosophie: "Bewege dich so oft wie möglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Verzichte auf Fleisch aus Massentierhaltung. Stell’ sicher, dass du so wenig Plastik wie möglich kaufst. Verschwende keine unnötige Energie. Wer Veränderung im großen Ganzen sehen möchte, fängt am besten im privaten Bereich an", so Daniela. Und Jeremy ergänzt: "Zudem hilft es, wenn sich mehr Menschen im politischen Prozess engagieren. Kontaktiert die von euch gewählten Politiker und setzt eure Stimme bestmöglich ein. Die Welt braucht mehr Aktivisten, vor allem im lokalen Bereich."
 

Pow Seven: Die 7 POW-Leitlinien im Überblick
1. Engagiere dich Politisch
2. Informiere dich
3. Finde deinen größten Hebel
4. Erhebe deine Stimme, sprich mit Freunden
5. Spreche mit Unternehmen
6. Ändere deine Gewohnheiten und spare Geld
7. Werde Mitglied bei POW

 

Eine ausführliche Erklärung zu allen 7 POW-Leitlinien findest du direkt hier bei Protect our Winters 

Trotzdem: Auch Jeremy weiß, dass uns die POW Seven alleine nicht ans Ziel bringen werden. "Politik hat mich, ehrlich gesagt, nie wirklich interessiert. Den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren ist wichtig, ohne Frage, willst du in unserer heutigen Welt jedoch etwas Großes bewegen, musst du politisch werden. Wenn wir erfolgreich den Klimawandel bekämpfen wollen, müssen wir globale Veränderung anstreben, und das kann ausschließlich mit einer starken Klimapolitik ermöglicht werden."

An dieser Stelle macht es Sinn, sich erneut die Dimension dieses Problems ins Gedächtnis zu rufen. Ein Problem, das so groß ist, dass es nur schwer greifbar ist. Hier geht es um mehr, als den Erhalt der Gattung Pow-Turn. Versäumen wir, der globalen Erwärmung entgegenzuwirken, heißt das dramatische Veränderung. Vielleicht kommt unsere Generation Y noch mit einem blauen Auge davon. Weniger glücklich sind jedoch unsere Kinder, deren Kinder, deren Enkel und alle nachfolgenden Generationen. In eben jener entscheidenen Zeitspanne geschieht nun der 8. November 2016: Donald Trump wird Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Typ, der öffentlich lauthals verlauten lässt, dass die globale Erwärmung eine Erfindung der Chinesen ist, übernimmt das mächtigste Land der Welt. 

US-Präsident Trump stellt POW vor neue Herausforderungen

"Es ist eigentlich nicht zu fassen, aber die Leugnung des Klimawandels ist immer noch ein gewaltiges Problem", so Jeremy. "Trumps neue Administration ist das ‚Who is Who‘ der Klimawandelleugner." Zugegeben: Einen kräftigeren Tritt in die POW-Klöten hätte sich kein Drehbuchautor ausdenken können. Dennoch lassen sich Jeremy und Crew auch in diesen schwierigen Tagen nicht entmutigen: "Klar, wir waren alle zutiefst bestürzt, als die Nachricht bekanntgegeben wurde. Das Gute daran: Die komplette POW-Crew ist motivierter denn je, unsere Mission zu erreichen."

Die neue politische Situation in den USA stellt Protect Our Winters vor zahlreiche neue Herausforderungen, viele Strategien mussten über Nacht komplett geändert werden. "Dieser Kampf war noch nie leicht. Wir hatten Rückschlage zuvor und werden erneut Rückschlage haben. Jetzt müssen wir aber an die Zukunft denken, auch wenn sich diese heute schwieriger als gestern gestaltet. Wir versuchen weiter, den Druck in Washington zu erhöhen, wissen jedoch auch, dass wir unsere Bemühungen in den nächsten vier Jahren vor allem auf die staatliche Ebene konzentrieren müssen", erklärt Jeremy. "Trumps Administration mag eine Ansammlung von Klimawandelleugner sein. Es mag oft einem Kampf gegen Windmühlen gleichen. All das wird uns jedoch nur noch stärker kämpfen lassen – auf Bundes- und Staatsebene. Wir müssen damit beginnen, ein stärkeres Auge auf die Kandidaten der zukünftigen Wahlen zu werfen, sodass sich diese Situation nie mehr wiederholt."

Wir alle sollten, nein, müssen unsere CO2-Bilanz verringern
Jeremy Jones

Der Alltag von Protect Our Winters ist in den letzten sieben Jahren politischer und komplexer geworden. Die eigentliche Mission ist aber immer noch die Gleiche: Die Wintersportgemeinde gegen den Klimawandel vereinen. "Unser Ziel ist es noch immer, eine soziale Bewegung gegen die globale Erwärmung zu erschaffen, angeführt von den einflussreichsten Persönlichkeiten der Outdoorgemeinde", so Jeremy. Dabei vergisst man auch nicht, vor der eigenen Türe zu kehren. Immer noch größere, luxuriösere Liftanlagen, Heliflüge, Forstrodungen. Ist unsere Wintersportgemeinde nicht Teil des Problems? Auch dazu hat Jeremy eine Meinung: "Ja und Nein. Natürlich macht die Wintersport-Industrie große Fehler, die wir so in Zukunft nicht tolerieren sollten. Betrachtet man jedoch das große Ganze, ist der Wintersport nur ein Bruchteil des Problems. Ganz klar: Wir alle sollten, nein, müssen unsere CO2-Bilanz verringern. Dennoch dürfen wir uns nicht von den Details paralysieren lassen und dadurch das große Ganze aus den Augen verlieren."

Letztendlich ist die aktuelle Klimasituation die größte Herausforderung unserer Generation, sagte Jeremy Jones einst. Als wir ihn am Ende unseres Interviews fragen, ob er selbst an den Erfolg von Protect Our Winters glaubt, wird er nachdenklich: "Ja und Nein. Unsere Winter haben sich jetzt schon stark verändert und das werden sie auch weiter tun. Die Frage ist nur: Wie schlimm soll es noch werden?" Pause. "Das liegt jetzt wohl an uns."

Du willst mithelfen, das große Ganze zu verändern? Gut so. Eine Mitgliedschaft bei Protect Our Winters ist gratis und easy. Einfach auf die POW-Website klicken, anmelden und in Zukunft Tipps bekommen, wie du ernsthaft aktiv werden kannst: www.protectourwinters.org